Agile Ansätze sind im Projektmanagement immer mehr gefragt

Das Umfeld von Unternehmen ist schnelllebig und wird immer komplexer, daher ist es notwendig, dass Unternehmen darauf „agil“, also schnell und zukunftsweisend reagieren können. Da umfangreiche Änderungen nahezu immer in Form von Projekten vorgenommen werden, ist zu erwarten, dass auch in Projekten agile Ansätze eingesetzt werden müssen. Im Zuge einer breitangelegten Studie der Hochschule Hannover unter Projektverantwortlichen in Deutsch­land wurde untersucht, wie hoch die Bedeutung agiler Ansätze von Mitarbeiter/innen mit profunden Projekterfahrungen eingeschätzt wird. Nach den Ergebnissen der Studie ist damit zu rechnen, dass schon in wenigen Jahren in zwei Drittel aller Unternehmen agile Ansätze in vielen oder allen Pro­jekten eingesetzt werden.

Vorgehensweisen in Projekten

Seit vielen Jahren wird beobachtet, um wie viel schnelllebiger und komplexer das Umfeld von Unternehmen wird. Die Kundenanforderungen steigen, mehr Vertreter unterschiedlicher Interessen sind zu berücksichtigen, die Wettbewerbssituation wird drängender, der Innovationsdruck steigt – und das alles bei zunehmender Geschwindigkeit des Wandels. Im Projektmanagement kann daher oft nicht mehr nach der traditionellen Prämisse vorgegangen werden, nach der alle Anforderungen möglichst zum Projektbeginn genau spezifiziert und Änderungen dann im Projektverlauf mit systematischen Change-Request-Abläufen aufgefangen werden. So ein vorausschauendes, weitgehend lineares Vorgehen ist strukturiert und phasenorientiert planbar und bietet damit eine gewisse Sicherheit bezüglich Kosten- und Zeitbedarf sowie Ergebnisqualität. Allerdings können heutzutage die umfangreichen und komplexen Anforderungen an ein Projektergebnis eben nicht früh und vollständig aufgenommen und spezifiziert werden.

Daher wird seit einigen Jahren zunehmend mit agilen Ansätzen versucht, die Anforderungen nicht zu Projektbeginn möglichst vollständig zu erheben, sondern im Projektverlauf schrittweise aufzunehmen und zu verfeinern. Mit einem inkrementellen und iterativen Vorgehen wird angestrebt, die in Änderungs- und Entwicklungsprozessen notwendige Kreativität und Innovationskraft nicht durch (zu) detaillierte Vorgaben einzuschränken.

Bevorzugt werden agile Ansätze, wenn zu Projektbeginn unscharfe Vorstellungen zum Projektergebnis und unvollständige Anforderungen vorliegen. Bekannte agile Ansätze sind zum Beispiel iteratives Vorgehen zur Entwicklung von Software wie eXtreme Programming (XP) und Scrum, Kooperationsmodelle, die flachere Strukturen und weniger Bürokratie betonen oder Frameworks, mit denen agile Ansätze in größeren Arbeitszusammengängen eingesetzt werden beziehungsweise traditionelle Ansätze wie Kanban oder Kaizen kombiniert werden.

Derartige agile Vorgehensweisen werden in der Fachöffentlichkeit seit einigen Jahre diskutiert. So haben zum Beispiel einschlägige Veranstaltungen der Regionalgruppen der GPM großen Zulauf. Allein in Hannover sind innerhalb eines Jahres gemeinsame Veranstaltungen der Regionalgruppe Hannover der GPM und vom VDI et al. anzuführen zum Thema „Big Bang: Umstellung von 260 Kolleginnen und Kollegen auf agile Arbeitsweisen“, zum Thema „Hybrides Projektmanagement mit einer digitalisierten Unternehmensführung“ und zum Thema „Facetten des Projektmanagements: Klassisch, agil oder hybrid – Was passt zu uns?“; jeweils mit mehr als mehr als 100 Personen. Ebenso sind auf Fachkongressen der GPM und IPMA entsprechende Themen vertreten, in Fachgesellschaften bilden sich für das Thema spezialisierte Fachgruppen, so in der GPM eine Fachgruppe zum agilen Projektmanagement. Zudem werden Studien zum Stand des Einsatzes von agilen Ansätzen im Projektmanagement veröffentlicht [z.B. 1, 2, 3].

Zum Stand des agilen Projektmanagements


An der Hochschule Hannover wurde in Zusammenarbeit mit der GPM im Herbst 2020 eine thematisch breit aufgestellte Untersuchung zum Projektmanagement in Unternehmen durchgeführt. Die Studie der Professoren Georg Disterer und Andreas Daum wurde auch im Blog der GPM vorgestellt. Dabei wurden Mitarbeiter/innen zum aktuellen Stand und zur zukünftigen Akzeptanz von agilen Ansätzen im Projektmanagement befragt. Interessant waren die Antworten jener 2.503 Befragten, die über profunde Projekterfahrungen verfügen, da sie …

  • in den vergangenen 3 Jahren an mind. 3 Tagen pro Woche in Projekten arbeiteten
  • dabei auch die Rolle der Projektleitung oder Teilprojektleitung ausüb(t)en
  • ein Zertifikat der GPM nach IPMA Level D (oder höher) abgelegt haben.

Die Befragten gaben eine Einschätzung, wie wichtig die Fähigkeit des Unternehmens, schnell auf Änderungen des komplexen und zugleich schnelllebigen Umfelds reagieren zu können, in Diskussionen und im Vorgehen bei ihnen eine Rolle spielt. Die Ab­bildung zeigt die durchschnittlichen Werte der Antworten für die Bedeutung von Agilität aktuell und in drei Jahren. Danach wird schon heute Agilität eine deutliche Bedeutung zugewiesen, auffällig ist zudem der für eine überschaubare Zukunft von drei Jahren resultierende Wert von 4,0 – sprich: agilen Ansätzen im Projektmanagement wird eine „hohe Bedeutung“ prognostiziert.

Diese hohe Bedeutung wird vor allem von Befragten geäußert, die überwiegend in Forschung-/Entwicklungsprojekten und Organisationsprojekten aktiv sind, für Investitionsprojekte wird die Bedeutung niedriger eingeschätzt.

Darüber hinaus wurde ermittelt, in welchem Umfang agile Ansätze im Projektmanagement der Unternehmen einge­setzt werden.

Dabei ist zu beachten, dass in vielen Unternehmen – zumal in größeren – immer mehrere oder viele Projekte mit recht ver­­schiedenen Merkmalen durchgeführt werden. Daher ist davon auszugehen, dass die­se Projekte auch mit unterschiedlichen Ansätzen im Projektmanagement und damit auch mit verschiedenen Formen und Intensitäten agiler Ansätze durchgeführt werden. Dazu wurden die Befragten um eine Einschätzung gebeten, in welchem Umfang heute und voraussichtlich in drei Jahren agile Ansätze genutzt werden. Die dafür eingesetzte Skala war verbal verankert auf den Endpunkten „nahezu immer klassische Ansätze“ und „nahezu immer agile Ansätze“ und bietet Abstufungen bei „in einigen Projekten agile An­sätze“ und „in vielen Projekten agile Ansätze“ an. Die Abbildung zeigt, dass heute in der deut­lichen Mehrheit von 72% der Unternehmen agile Ansätze gar nicht oder lediglich in eini­gen Projekten eingesetzt werden und in nur 28% der Unternehmen agile Ansätze in vielen oder allen Projekten genutzt werden.

Die starke Zunahme der Nutzung agiler Ansätze wird mit Blick auf die erwartete Entwicklung in den nächsten drei Jahre deutlich: Erwartet wird, dass dann nur noch in 42% der Unternehmen agile Ansätze gar nicht oder lediglich in einigen Projekten eingesetzt werden, während dann in 59% der Unternehmen agile Ansätze in vielen oder allen Projekten genutzt werden. Diese erwartete starke Zunahme der Nutzung agiler Ansätze wird besonders von jenen Befragten genannt, die überwiegend in FuE- und Organisationsprojekte aktiv sind. Diese Befragten erwarten, dass rund 66% der Unternehmen agile Ansätze in vielen oder allen Projekten genutzt werden.


Schon heute werden in nur 24% der Unterneh­men Projekte ohne agile Ansätze durchgeführt. In drei Jahren wird dieser Anteil, in denen Projekte mit traditionellen und klassischen Ansätzen des Projektmanagements durch­führt werden, nur noch 9% betrage – während dann in 59% der Unternehmen agile An­sätze in vielen oder allen Projekten genutzt werden. Daher ist aus den Antworten der Be­fragten eindeutig zu konstatieren, dass agile Ansätze im Projektmanagement immer mehr gefragt sind.

 

Weiterbildung und Zertifizierung

Im Projektmanagement gibt es seit 40 Jahren von mehreren Fachgesellschaften definierte und international anerkannte Zertifizierungsprogramme. Das Interesse daran war in den vergangenen Jahren groß – zum einen von Personen auf der Suche nach Weiterbildung und zum anderen von Arbeitgebern auf der Suche nach qualifiziertem Personal. Auf den in den vergangenen Jahren aufkommenden Trend zum Einsatz agiler Ansätze im Projektmanagement werden die Fachgesellschaften reagieren müssen, um das Interesse an ihren Angeboten und ihre Anerkennung zu erhalten. Dabei muss sicherlich allen Initiativen und Fachgesellschaften eingestanden werden, dass die Coro­na-Umstände des Jahres 2020 viel Momentum und Vortrieb gekostet haben – es muss heute offenbleiben, wie schnell das im Jahr 2021 aufgeholt bzw. eingeholt werden kann.

Die in Europa besonders stark vertretene International Project Management Association (IPMA) hat auf Ebene des internationalen Dachverbands im Jahr 2017 begonnen, ein Zertifizierungsschema vorzubereiten, in deren Mittelpunkt agile Ansätze ste­hen. Zu dem neun Referenzrahmen „Agile Reference Guide ICB4 in an Agile World“ [4] entwickelt, zu dem das Zertifizierungsschema „Agile Leadership“ eine stufenweise Zertifizierung von Kompetenzen und Fähigkeiten beginnend mit dem Einstieg auf Level-D als „Certified Agile Associate“, den Stufen Level-C „Certified Agile Leader“ und Level-B „Certified Agile Senior Leader“ bis hin zum Level-A „Certified Agile Organisational Leader“ vorsieht [5]. In einigen Länder in Europa wie Österreich, Schweiz und Finnland sind die ersten Zertifikate nach dem Schema „Agile Leadership“ der IPMA bereits ausgestellt worden. Vielmehr In Deutschland hat die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. schon vor einigen Jahren ein Zertifikat „hybrid+“ entwickelt [6], das als Ergänzung zu IPMA-Zertifikaten im Projektmanagement angeboten wird. Project Management Institute (PMI), ebenfalls ein großer, weltweit agierender Fachverband für das Projektmanagement, bietet jetzt zusätzlich zum Programm von Trainings und Zertifikaten zum Projektmanagement ein Zertifikat „Agile Certified Practitioner“ (PMI-ACP) an  [7].

Die großzahlige Befragung von Mitarbeiter/innen mit profunden Projekterfahrungen hat ein er­hebliches Interesse und einen erheblichen Bedarf an agilen Ansätzen in Projekten gezeigt. Dieser Bedarf wird voraussichtlich in den nächsten Jahren deutlich steigen. Für manche Formen und Typen von Projekten wird es zum Standard werden, in erheblichen Umfang agile Ansätze einzusetzen.

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Literatur

[1]   PwC (Hrsg.): Vertrauen in die agile Projektumsetzung - Mehrwert für die Unternehmen schaffen 2019.

[2]   Komus, A., Kuberg, M.: Status Quo (Scaled) Agile 2019/20 - 4. Internationale Studie zu Nutzen und Erfolgsfaktoren (skalierter) agiler Ansätze, Hochschule Koblenz (Hrsg.), Koblenz 2020.

[3]   Peters, C., Simmert, B., Eilers, K., Leimeister, J. M.: Future Organisation Report 2020, Universität St. Gallen (Hrsg.), Institut für Wirtschaftsinformatik, St. Gallen

[4]   IPMA International Project Management Association IPMA (Hrsg.): IPMA Reference Guide ICB4 in an Agile World (V 2.3) 2018.

[5]   www.ipma.world/ipma-agile-leadership.

[6]   www.gpm-ipma.de/weiterbildung/projektmanager/aufbaulehrgang_hybrid.

[7]   www.pmi.org/certifications/agile-acp Abruf 20.01.2021

Georg Disterer, Prof. Dr., lehrt Wirtschaftsinformatik an der Fakultät für Wirtschaft und In¬for¬matik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und vieler Fachbeiträge zu Themen der Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre. Seine Lehr- und Forschungsgebiete umfassen insbesondere: Informationsmanagement, IT Service Management, IT-Compliance, IT-Projektmanagement. Zudem ist er IT-Sachverständiger (ö.b.u.v.) und Fachgutachter in nationalen und internationalen Forschungsprogrammen. georg.disterer@hs-hannover.de


Andreas Daum, Prof. Dr., lehrt Betriebswirtschaftslehre und Projekt-management an der Fakultät für Wirtschaft und Informatik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und Fachbeiträge zur Betriebswirtschaft und zum Projektmanagement/ -controlling. Er ist seit über 30 Jahren Mitglied der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., leitet seit über 20 Jahren die GPM Regionalgruppe Hannover und ist seit über 10 Jahren Autorisierter Trainingspartner der GPM. andreas.daum@hs-hannover.de


Georg Disterer, Prof. Dr., lehrt Wirtschaftsinformatik an der Fakultät für Wirtschaft und In¬for¬matik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und vieler Fachbeiträge zu Themen der Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre. Seine Lehr- und Forschungsgebiete umfassen insbesondere: Informationsmanagement, IT Service Management, IT-Compliance, IT-Projektmanagement. Zudem ist er IT-Sachverständiger (ö.b.u.v.) und Fachgutachter in nationalen und internationalen Forschungsprogrammen. georg.disterer@hs-hannover.de


Andreas Daum, Prof. Dr., lehrt Betriebswirtschaftslehre und Projekt-management an der Fakultät für Wirtschaft und Informatik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und Fachbeiträge zur Betriebswirtschaft und zum Projektmanagement/ -controlling. Er ist seit über 30 Jahren Mitglied der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., leitet seit über 20 Jahren die GPM Regionalgruppe Hannover und ist seit über 10 Jahren Autorisierter Trainingspartner der GPM. andreas.daum@hs-hannover.de


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