Judith Armbruster
– 22.07.2025Autonomie in agilen Teams: Eine Basis für Motivation und Erfolg
In der modernen Arbeitswelt, insbesondere in agilen Projektteams, wird Autonomie als zentraler Motivationsfaktor gehandelt. Doch was bedeutet Autonomie wirklich, wenn Einzelne in selbstorganisierten Teams arbeiten?
Als agile Coachin und Doktorandin habe ich mich genau dieser Frage gewidmet und die subjektiven Erfahrungen von Autonomie in agilen Teams erforscht. Mein Ziel ist es, die dynamischen Zusammenhänge zu verstehen und Führungspraktiken zu entwickeln, die effektive und engagierte Teamarbeit fördern. Tauchen wir ein in die vielseitigen Nuancen der Autonomie.
Autonomie: Motor für Motivation
Autonomie ist weithin als ein grundlegendes psychologisches Bedürfnis und ein Haupttreiber für Motivation am Arbeitsplatz anerkannt, wie die Selbstbestimmungstheorie (SDT) belegt. In agilen Projektumgebungen fördern die Prinzipien der Selbstorganisation und Eigenverantwortung die Autonomie der Einzelnen in den Teams. Meine Beobachtung ist, dass Menschen in dieser Art der Teamarbeit, speziell in agilen Softwareentwicklungsteams, „total aufblühen“ und mehr Engagement zeigen. Dieses Phänomen, bei dem Mitarbeitende mehr geben und gleichzeitig „strahlen“, war ein wichtiger Antrieb für meine Forschung.
Das Spannungsfeld der Autonomie
Im klassischen Management wird Autonomie oft in einem Spannungsfeld zur Kontrolle gesehen. In agilen Teams jedoch zeigt sich eine besondere Dynamik: Es geht nicht nur um die Autonomie des Einzelnen, sondern auch um die Autonomie des Teams. Hieraus ergibt sich ein interessantes Paradox: Wie kann man autonom arbeiten und gleichzeitig dem Teamerfolg durch Selbstorganisation verpflichtet sein?
Die Forschung zeigt, dass Autonomie nicht als „Freiheit von allem“ oder Autarkie zu verstehen ist. Vielmehr geht es um „Freiheit, um etwas zu tun“. Dies lässt sich mit dem Erlernen eines Instruments vergleichen: Erst wenn man genügend Kompetenz besitzt, ist man frei zum Improvisieren. Übertragen auf die Arbeit bedeutet dies, dass eine gewisse Kenntnis und Kompetenz vorhanden sein muss, um wirklich autonom handeln zu können.
Fünf Perspektiven auf Autonomie
Um die hochsubjektive Natur der Autonomie zu erforschen, wurde die Q-Methodologie eingesetzt - ein Forschungsansatz, der qualitative und quantitative Elemente mischt und sich besonders für subjektive Themen eignet. Diese Methode hilft herauszufinden, wie Menschen ein Thema ganz persönlich sehen. Dabei wurden fünf unterschiedliche Perspektiven, wie Autonomie von Individuen in agilen Teams erlebt wird, identifiziert:
- Teamorientierte Perspektive: Kollaborativer Ansatz mit gemeinsamem Wissen und kollektiver Entwicklung
- Klärungssuchende Perspektive: Individuelle Klarheit mit situationsbezogener Unterstützung
- Innovationsgetriebene Perspektive: Maximale individuelle Flexibilität und Innovation
- Ressourcenorientierte Perspektive: Praktische Effizienz und Organisation von Teamprozessen zur Unterstützung der Teamziele
- Aufgabenzentrierte Perspektive: Strukturierte Unabhängigkeit mit Kontrolle auf Aufgabenebene
Herausforderungen in der Praxis
Obwohl Autonomie überwiegend positiv konnotiert ist, gibt es auch negative oder hinderliche Aspekte. In Interviews wurden Situationen beschrieben, die als überfordernd oder demotivierend wahrgenommen wurden, beispielsweise wenn Entscheidungsprozesse zu lange dauerten. Rund ein Drittel der erwähnten Situationen hatte gemischte Effekte. Das bedeutet, dass eine Situation kurzfristig Unsicherheit oder Überforderung auslösen konnte, langfristig aber zu wertvollem Lernen führte. Dafür braucht es jedoch situative Unterstützung von Kollegen - was die Wichtigkeit zum Transfer zum Thema Führung aufzeigt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in meiner Forschung überraschend groß herauskam, ist die Bedeutung des Onboardings und des Starts in ein Team. Diese Momente sind entscheidend, da selbst kleine Aufgaben, die auf den ersten Blick kaum Autonomie bieten, für Berufsanfänger sehr positiv erlebt werden können, wenn sie ein erstes Erfolgserlebnis und das Gefühl vermitteln, etwas gelernt zu haben. Auch Team-Routinen werden als sehr positiv wahrgenommen, da sie Sicherheit bieten und den Informationsfluss sowie das „Teamleben im Fluss“ halten - quasi eine Art Rahmen, die von den einzelnen Teammitgliedern individuell im Arbeitsalltag ausgestaltet wird.
Führung und Team: Autonomie gestalten
Wie können Führungskräfte und Projektleiter konkret dazu beitragen, dass jedes Teammitglied die Form von Autonomie erhält, die ihm wichtig ist? Die Forschung zeigt, dass Führung sehr situativ und auf den Einzelnen bezogen sein sollte. Gleichzeitig wird deutlich, dass das Team an sich viel moderiert. Dies kann Führungskräfte entlasten, da sie sich auf das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung im Team verlassen können. Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wann Führung wirklich eingreifen muss und wann man sich bewusst zurücklehnen kann, um die Teamdynamik zu nutzen und das Miteinander zu stärken. Führung muss an den Punkten da sein, wo Teammitglieder Unsicherheit erleben, nicht weiterwissen oder die Aufgabe nicht strukturieren können. Auch zu enge Rahmenbedingungen oder unklare Ressourcenallokation werden als negativ erlebt.
Ein spannender Punkt ist, dass Autonomie-Bedürfnisse im Arbeitsalltag selten aktiv angesprochen werden. Viele Interviewpartner gaben an, sich darüber noch keine Gedanken gemacht zu haben. Dabei kann das bewusste Festlegen von Kommunikationsregeln, wie „Fokuszeiten“, die produktive Arbeitszeit erheblich verbessern. Die agile Denkweise betont Werte wie offene Kommunikation und das In-den-Mittelpunkt-Stellen des Menschen. Diese gelebten Werte können in Krisenzeiten wie eine „Versicherung im Team“ wirken, da man sich auf sie zurückziehen kann.
Jenseits agiler Teams: Breite Anwendbarkeit
Die Erkenntnisse aus der Forschung zur Autonomie in agilen Teams sind nicht auf diesen spezifischen Kontext beschränkt. Vieles lässt sich auch auf klassische oder hybride Projektmanagement-Arten übertragen. Das liegt daran, dass sich viele Kommunikationsprinzipien und zugrunde liegende Werte wie offene Kommunikation und Routinen überschneiden. Es geht mehr darum, wie im Team zusammengearbeitet wird, als um den spezifischen Kontext oder die Rollen. Ich selbst schätze sowohl klassisches als auch agiles Projektmanagement, da beides seine Berechtigung für den jeweiligen Projektzweck und Kontext hat.
Bewusstes erleben
Diese Forschung liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Komplexität erlebter Autonomie in agilen Teams. Sie bietet einen Rahmen, um die individuellen Ansichten zu verstehen und diese zu unterstützen, was die Teamarbeit verbessern kann. Indem wir uns der unterschiedlichen Wahrnehmungen von Autonomie bewusst werden, können wir Teamwork verbessern und Führungspraktiken anpassen, um im Rahmen von Projekten einen Arbeitsplatz zu gestalten, der Motivation fördert. Dies trägt auch zu SDG 8 bei, das menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Motivation und Wohlbefinden am Arbeitsplatz fordert.
Das Kernstück agiler Arbeitsweisen - ob im Softwareteam oder anderswo - ist das Miteinander und das gemeinsame Erleben von Fortschritt und Ergebnissen. Wer Autonomie bewusst lebt und gestaltet, legt einen wichtigen Grundstein für motivierte, engagierte und erfolgreiche Teams. Auch wenn noch Fragen offen sind, etwa zur Skalierung von Autonomie zwischen Teams oder der Einbindung in die Gesamtorganisation, so ist doch klar: Der Mensch und seine Integration in partizipative Prozesse sind entscheidend.
Judith Armbruster spricht beim 34. IPMA World Congress zum Thema "Autonomie erleben – Einblicke in agile Teams". Weitere Informationen zum IPMA World Congress und die Möglichkeit zur Ticketbuchung finden Sie hier.
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