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– 20.05.2025Das iCDE-Modell: Coach, Dirigent, Entdecker – welche Rolle leben Sie?
Die Anforderungen an Führungskräfte verändern sich grundlegend – nicht irgendwann, sondern jetzt. Projektorientierte Arbeit, verteilte Teams, ein wachsender Einfluss der Generationen Y und Z sowie die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung stellen Führung vor neue Herausforderungen. Wer heute Projekte verantwortet, braucht mehr als methodisches Know-how. Es geht ebenso um Haltung, Rollenbewusstsein und Veränderungsbereitschaft.
Das iCDE-Modell bietet dabei eine praxisnahe Orientierung, um diesen Wandel zu reflektieren und neue Führungsrollen bewusst zu gestalten. Doch wie gelingt diese Transformation im Führungsverständnis? Und woran scheitert sie häufig? Eine entscheidende Erkenntnis lautet: Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen.
Veränderte Rahmenbedingungen, veränderte Führung
Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass Führung nicht mehr ausschließlich über Hierarchie, Kontrolle oder Prozesse funktioniert. Die Geschwindigkeit technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen nimmt stetig zu. Gleichzeitig erwarten Mitarbeitende heute mehr Mitbestimmung, Flexibilität, Sicherheit und Sinn in ihrer Arbeit. Führungskräfte müssen daher empathischer, technikaffiner und reflektierter handeln. Und sie müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen Teams auch unter Unsicherheit produktiv arbeiten können – Stichwort: psychologische Sicherheit.
Zahlreiche Unternehmen erkennen diese Entwicklung – doch bei der Umsetzung hakt es. In vielen Führungsetagen klafft eine Lücke zwischen dem Idealbild einer modernen Führung und der gelebten Praxis. Der Wille zur Veränderung ist häufig geringer, als es nach außen den Anschein hat.
Falsche Selbsteinschätzung als Stolperfalle
Untersuchungen zeigen regelmäßig, dass Führungskräfte ihre eigene Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit deutlich positiver einschätzen als ihre Teams. Während sich viele Führungspersonen als offen und risikofreudig wahrnehmen, erleben Mitarbeitende oft das Gegenteil. Das Ergebnis ist ein gefährlicher Wahrnehmungsbruch, der Vertrauen kostet und Wandel ausbremst.
Viele Führungskräfte schätzen ihre Offenheit für neue Ideen deutlich optimistischer ein als ihre Mitarbeitenden. Studien zeigen immer wieder, dass Selbst- und Fremdbild in puncto Innovationskultur und Risikobereitschaft oft stark auseinanderklaffen. Wenn jedoch Führungsverständnis und gelebte Realität nicht übereinstimmen, verlieren agile Methoden an Glaubwürdigkeit – und Veränderungsprozesse bleiben wirkungslos.
Vom Entscheider zum Möglichmacher
Es reicht längst nicht mehr aus, auf der richtigen Konferenz gewesen oder eine neue Projektmethode gelernt zu haben. Führungskräfte von heute brauchen ein anderes Selbstverständnis. Die Rolle wandelt sich vom Entscheidungstreffer zum Coach, vom Kontrolleur zum Dirigenten, vom Durchsetzer zum Entdecker. Und sie wird zunehmend ergänzt durch die Haltung eines Servant Leaders, der Teams stärkt, Verantwortung abgibt und Orientierung schafft – auch in komplexen, technologiegeprägten Umfeldern.
Diese neuen Rollen fordern Ich-Kompetenzen: Selbstreflexion, Lernbereitschaft und die Fähigkeit, loszulassen. Führungskräfte, die sich weiterhin über formale Macht definieren, haben es schwer, moderne Teams zu inspirieren. Gefragt sind Persönlichkeiten, die Räume eröffnen, Entwicklung ermöglichen und tragfähige Beziehungen gestalten können.
Wollen und Können – beides zählt
Veränderung entsteht immer aus zwei Komponenten: dem Wollen und dem Können. Wer nur Methoden vermittelt, aber nicht an der Haltung arbeitet, wird keine nachhaltige Wirkung erzielen. Trainings und Tools können bestenfalls Impulse geben – ohne innere Bereitschaft bleiben sie wirkungslos.
Deshalb braucht es einen Perspektivwechsel: Statt ausschließlich in Weiterbildungsbudgets zu investieren, sollten Unternehmen daran arbeiten, den Sinn von Veränderung zu vermitteln. Nur wer versteht, warum etwas anders werden muss, entwickelt echtes Engagement.
Zwei Wege im Umgang mit Veränderungsbereitschaft
Nicht jede Führungskraft will oder kann sich verändern. Das ist eine unbequeme Wahrheit, aber eine notwendige.
- Weg 1: Überzeugung durch Einsicht. Manche Menschen blockieren nicht aus Prinzip, sondern aus Unkenntnis oder Unsicherheit. Hier helfen offene Kommunikation, Dialogformate, Raum für Fragen, das Ansprechen von Ängsten und das Aufzeigen positiver Beispiele.
- Weg 2: Verzicht. Wer dauerhaft nicht bereit ist, sein Verhalten zu reflektieren oder anzupassen, kann auf Dauer kein Teil einer zukunftsorientierten Organisation bleiben. So schmerzhaft es ist: Manche Trennungen sind notwendig, um den Wandel nicht zu gefährden.
Gerade die Geschäftsleitung ist hier gefordert. Es reicht nicht, neue Werte zu formulieren, man muss sie glaubwürdig leben. Führung wirkt immer durch Vorbild. Wer Wandel will, muss ihn verkörpern.
Das iCDE-Modell: Orientierung für neue Führungsrollen
Ein praxistaugliches Werkzeug zur Standortbestimmung ist das iCDE-Modell, das für „Ich-Kompetenzen im Dreiklang von Coach, Dirigent und Entdecker“ steht. Es beschreibt drei zentrale Rollen, die Führungskräfte heute vermehrt einnehmen müssen – ergänzt durch moderne Anforderungen wie emotionale Intelligenz, digitale Souveränität und systemisches Denken.
Coach
In einer zunehmend eigenverantwortlichen Arbeitswelt sollen Mitarbeitende nicht nur Aufgaben erfüllen, sondern auch Lösungen entwickeln. Führung bedeutet, Potenziale zu erkennen, Entwicklung zu ermöglichen und Vertrauen zu geben. Coaching-Kompetenzen – etwa Feedbacktechniken, Fragetechniken oder Typenmodelle – werden zur Schlüsselqualifikation für Führungskräfte, die Entwicklung nicht blockieren, sondern fördern wollen.
Dirigent
Projektarbeit ist Standard, Teams sind vernetzt und oft interdisziplinär. Führung heißt hier, Strukturen zu schaffen, die trotz hoher Individualität Orientierung geben. Die Dirigentenrolle verlangt Fähigkeiten in Moderation, Kommunikation und Konfliktklärung. In komplexen Projektportfolios gilt es, Teams nicht zu kontrollieren, sondern durch abgestimmte Ziele, klar definierte Rollen und transparente Erwartungen zu koordinieren, auch über Länder- und Zeitzonen hinweg.
Entdecker
In einer Welt, in der es nicht auf alle Fragen sofort eine Antwort gibt, werden Neugier, Lernbereitschaft und Kreativität zur Überlebensstrategie. Der Entdecker denkt experimentell, ist offen für neue Technologien und hat den Mut, Neues zuzulassen, auch wenn der Ausgang ungewiss ist. Technologische Kompetenz, etwa im Umgang mit KI oder digitalen Tools, ist heute ebenso wichtig wie kreative Denkprozesse oder die Bereitschaft, in iterativen Schleifen zu arbeiten.
Fazit: Haltung schlägt Technik
Führung zwischen Transformation und Digitalisierung verlangt ein anderes Selbstbild. Es reicht nicht aus, Methoden zu beherrschen. Wer heute Projekte leitet, muss sich als Coach, Dirigent und Entdecker verstehen und sich gleichzeitig in der Rolle des Ermöglichers, Gestalters und Kulturträgers wohlfühlen.
Das iCDE-Modell bleibt ein hilfreiches Instrument, um sich selbst zu hinterfragen: Welche Rolle lebe ich schon? Welche vermeide ich – bewusst oder unbewusst? Und wo möchte ich wachsen?
Die wichtigste Voraussetzung bleibt jedoch: der Wille, sich zu verändern. Denn das Können folgt immer erst dem Wollen.
Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel "Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen" von Prof. Dr. Martin-Niels Däfler, erschienen in der PM AKTUELL, Ausgabe 05/2020. Mehr über das Fachmagazin der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. erfahren Sie hier.
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