– 27.05.2015

„Die Macht der kleinen Zahlen“ – Interview mit Projektmanager Klaus Grewe

Der Projektmanager Klaus Grewe hat in seiner langjährigen Karriere viele Großprojekte betreut. Er war der erfolgreiche Koordinator der Infrastrukturprojekte der Olympischen Spiele 2012 in London, hat in Berlin die Planung des Hauptbahnhofs und des U-Bahnhofs Potsdamer Platz mitverantwortet und berät nun den Hamburger Senat in Sachen Olympia-Bewerbung 2024. Der Berater ist Keynote Speaker auf der diesjährigen DOAG Business Solutions Konferenz vom 9. bis 11. Juni in Darmstadt. Im Interview mit DOAG Online sprach er im Vorfeld über die Macht der kleinen Zahlen.

Herr Grewe, wenn Sie die Wahl hätten: Welches Projekt möchten Sie unbedingt mal realisieren?

(lacht). Mit meinen Kindern einen Deich am Strand bauen, der hält.

Das Olympiagelände in London war vier Monate früher fertig und mit 9 Milliarden Euro rund eine Milliarde günstiger als geplant. Wie erreicht man ein so ehrgeiziges Ziel?

Es geht dabei vor allem um die Vorbereitung des Projektes: Wir versuchen am Anfang, das Projekt wirklich im Detail durchzudenken. Dabei belegen wir viele Einzelvorgänge vor ihrer Ausführung mit Kosten und Risiken, und versuchen dann, die Risiken zu mindern. Was wir in London eingespart haben, sind tatsächlich Risikokosten, die dann nicht eingetreten sind, die aber hätten kommen können. Durch diese Detaillierung sind wir in der Lage gewesen, das Projekt wirklich unter dem Budget zu liefern.

Ab welcher Größenordnung spricht man denn von einem Großprojekt?


Hier geht es nicht um die Summe des Projekts, sondern um die Komplexität. Theoretisch handelt es sich um ein Großprojekt, wenn ein Projekt über den eigenen Tellerrand hinausgeht. Auf IT-Projekte übertragen: Solange das IT-Projekt innerhalb Ihrer Abteilung ist, handelt es sich um ein geschlossenes Projekt. Sobald Sie mit diesem Projekt andere Abteilungen oder andere Infrastrukturen berühren, spricht man schon von einem größeren, komplizierteren Projekt und kann ab einer bestimmten Größe der Komplexität dann von einem Großprojekt reden. Auch ein 50-Euro-Projekt kann so komplex sein, dass es wie ein Großprojekt behandelt werden sollte.

Wie schafft man es bei Großprojekten, den Blick für das große Ganze zu bewahren?

Man muss den Mut haben, ins Detail zu gehen. Also wirklich die Detail-Aufgaben zu bearbeiten und auch den Aufwand dafür zu betreiben. Großprojekte werden heutzutage leider häufig noch mit der gleichen Belegschaft gemacht wie eher kleinere Projekte vor 20 Jahren. Man kann sich also nur um wenige Sachen im Detail kümmern, man kann keine genauen Zahlen ermitteln, und man agiert praktisch mit Annahmen.

Der Trick ist dabei eigentlich ganz einfach: Ich betreibe am Anfang mehr Aufwand, setze in die Details die entsprechenden Leute ein (sprich: deutlich mehr Leute als gewohnt) und lasse sie die Fleißarbeit machen, das Projekt vorzubereiten. Wichtig ist dabei, dass ich die Projekte untereinander kenne, die Einzelaufgaben verteile und die Verknüpfungen schaffe.

Das heißt bei der Kostenkalkulation gehen Sie genauso detailliert vor?


Ja, absolut. Die Aufschlüsselung können Sie bereits ganz am Anfang machen, gerade wenn Sie schon Erfahrungen aus alten Projekten haben. Sie machen dann eine Lessons Learned-Session und überlegen sich: Was muss ich machen, um das Projekt zu erfüllen? Wo könnten die Risiken liegen? Wo lagen bei vergangenen Projekten die Fehler und Unsicherheiten? Dann können Sie diesen Aufwand mit Kosten belegen und alles genau bewerten und beschreiben – Sie müssen’s nur tun. Bei der Aufstellung am Anfang erkennen Sie schnell, wo die komplizierten Sachen sind. Der Trick ist, alles Komplizierte noch mehr zu detaillieren, und noch mehr herauszuarbeiten.

Die Menge der Vorgänge ergibt sich dann durch die Schwierigkeit des Projekts. Nehmen wir die Olympiade in London: Das Olympiastadion, eines der teuersten Bauwerke, hatte vielleicht schlappe 350 Vorgänge, wenn ich mich recht erinnere. Das war so einfach zu bauen und wiederholend, dass es einfach keine Schwierigkeit war. Eine Wasserleitung, die nur 170.000 Pfund gekostet hat, hatte dagegen 4.000 Vorgänge, weil sie alles Mögliche gekreuzt hat.

Wie erreichen Sie von allen Beteiligten in den Teilprojekten die notwendige Ehrlichkeit und Transparenz?

Bei Großprojekten gilt die „Macht der kleinen Zahlen“: Wenn Sie beispielsweise in Primavera ein IT-Projekt oder ein Bauprojekt in Vorgänge packen, und das nicht in 50 übergeordneten Vorgängen, sondern in 500 oder 5.000 kleinen Vorgängen tun, und anfangen, diese kleinen Vorgänge mit Kosten und Risiken zu bewerten, dann haben Sie wenig Chancen, an den Einzelpositionen etwas zu drehen, weil z. B. ein Stück Rohr einen bestimmten Betrag kostet, in zwei Stunden eingebaut wird und bestimmte Risiken hat. Die Addition der kleinen Zahlen ergibt also eine Summe, die relativ realistisch ist. Je detaillierter ich am Anfang arbeite, desto weniger Möglichkeiten habe ich nachher, dagegen an zu arbeiten. Habe ich kleine, ehrliche Positionen, ist das Verstecken wahnsinnig schwierig.

Apropos Primavera: Mit welchen Tools arbeiten Sie in Ihren Projekten?

Erst einmal ist es wichtig, dass sich das Projekt-Team findet und organisiert, also die Prozesse „Wer macht Was, Wann und Wie“. Dafür braucht man natürlich Unterstützungswerkzeuge. Aber es fängt damit an, dass das Team selbst es versteht, diese Aufgabe zu leisten. Aus dem jeweiligen Umfeld heraus suche ich mir dann die Werkzeuge, mit denen das Team umgehen kann. Wenn ein Unternehmen Tools hat, die es praktisch nutzen und vielleicht sinnvoll ergänzen kann, ist das immer besser, als wenn ich ein Tool suche, das neu ist.

Bevor Sie nach London gegangen sind, haben Sie auch in Deutschland bei Strabag Projekte koordiniert. Gibt es einen Unterschied zwischen deutscher und internationaler Projektplanung? Wenn man sich die großen Projekte der letzten Jahre in Deutschland ansieht, könnte man ja den Eindruck gewinnen, dass hierzulande etwas falsch läuft…

In Deutschland wird nicht viel in die Vorplanung investiert und am Anfang häufig mit zu wenig Besetzung gearbeitet. Sie haben also zu Beginn zu wenig Mittel, um das Projekt zu erfassen. Das ist im Ausland extrem anders, wo wir gerade mit privaten Investoren arbeiten und wo es um jeden Pfennig geht. Die Investoren wollen wissen, wo das Geld bleibt, und betreiben am Anfang viel mehr Aufwand, das Projekt wirklich vorzudenken. Da haben Sie dann schon Primavera-Pläne mit 20.000-30.000 Vorgängen, die für eine Vorplanung erstellt werden. Es sind also im Ausland wesentlich höhere Planungskosten, dafür aber insgesamt wesentlich geringere Baukosten.

Außerdem möchte man in Deutschland für ein Projekt unwahrscheinlich schnell einen Preis wissen. Die dann genannte Zahl ist aber in den wenigsten Fällen gerechnet, sondern rein geschätzt. Auf diese Zahl arbeitet das Projekt plötzlich hin, obwohl jeder weiß, dass das gar nicht klappen kann. Die Projekte sind inzwischen so komplex, dass es fast unmöglich ist, solche Preise zu schätzen.

Wie halten Sie es bei Großprojekten mit der Transparenz und Offenlegung von Informationen für die Öffentlichkeit?

Wir hatten in London die Philosophie: Wenn wir gut gerechnet haben, können wir nichts verbergen. Wir haben mündige Bürger, und auch in Deutschland haben wir insgesamt einen unwahrscheinlich hohen Bildungsstand. Die Leute wissen, was Sache ist und ich kann sie nur überzeugen, indem ich das, was ich rechne und mache, einfach veröffentliche. Das ist wieder die „Macht der kleinen Zahlen“. Man sagt dann auch, warum etwas schief gelaufen ist und dass man aus bestimmten Gründen einen Fehler gemacht hat. Dafür haben die Leute Verständnis. Sobald man aber anfängt, etwas zu verstecken, hat man natürlich Schwierigkeiten, etwas zu veröffentlichen.

Bei welchen Warnsignalen werden Sie während des Projektverlaufs stutzig?

Wir arbeiten mit einer monatlichen Berichterstattung mit Vorausblick auf die nächsten Monate und Jahre. Wenn wir dann merken, dass in diesen 14.000 Vorgängen ein Ereignis andere Meilensteine nach hinten verschiebt, dann ist das natürlich das erste Warnsignal und wir müssen weitere Kettenreaktionen vermeiden. Die Kosten- und Zeitenmeilensteine dienen nach vorne hin als Warnsignal und gehen in der Berichterstattung sofort ins Gelb oder Rot, sobald etwas passiert.

Mit welchen Projekten sind Sie zurzeit tagtäglich beschäftigt?

Ich sitze gerade in Hamburg und helfe bei der Olympia-Bewerbung. Wir sind im Moment dabei, den großen Aufwand am Anfang zu betreiben und zu rechnen, was es kosten kann. Ansonsten habe ich noch ein Projekt in Mexiko und bin beratend beim Londoner CrossRAIL Projekt tätig.


Weitere Informationen

  • Klaus Grewe berichtet am 10. Juni als Keynote Speaker auf der DOAG 2015 Business Solutions Konferenz ausführlich von seinen Erfahrungen und den Herausforderungen bei der Koordination von Großprojekten. Interessierte können sich hier ihr Ticket sichern.
  • Mit dem Thema „Megaprojekte“ beschäftigt sich auch das „2015 1st IPMA Megaprojects Special Interest Group (SIG) Meeting“ am 3. und 4. September, das im Vorfeld der „12. International OTMC Conference“ (05. September) in Primošten, Kroatien, stattfindet.

Kommentare

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25.01.2024 – 19:13

Siegfried Kohlbecker

Sehr geehrter Herr Grewe,

aus meiner Sicht haben Sie die richtige Einstellung zur Abwicklung von Projekten.

Die radikale Forderung, dass zuerst die Planung und dann der Bau und der Betrieb

stattfinden soll wird in fast keinem Projekt eingehalten.

Wenn Sie Kontakt mir mir aufnehmen wollen, können wir dieses Thema mit dem

letzten Stand der Technologie, wie unsere Gruppe diese über 30 Jahre unter dem Radar

der Bauindustrie entwickelt haben, gerne besprechen.

Wir stehen gerade an der Schwelle, diese Technologie über die größten Bauherren und Planungsgesellschaften in den Markt zu bringen.

Ich dachte, das könnte für Sie von Interesse sein,

Gruß,

Siegfried Kohlbecker