Gamification ist das neue Zauberwort!

Am 4. und 5. Juni 2018 fand im Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) in Kooperation mit der GPM die <link events fachtagung_lisum lisum_rueckblick.html>Fachtagung „Handlungs- und Projektorientierung im Zeitalter der Digitalisierung“ statt. Die äußerst positive Teilnehmer-Resonanz hat die GPM Fachgruppe PM macht Schule veranlasst, den thematischen roten Faden der Veranstaltung in Form einer Blog-Serie weiterzuspinnen. Am 22.11.18 erschien der erste Teil, das Interview mit Schulleiter Joachim Maiß zum Thema Unterrichtsprojekte und Digitalisierung des Lernens.

Im zweiten Teil geht es um „Gamification“ als eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Transformation des Bildungsbereichs (Schule, Aus- und Weiterbildung). Jürgen Uhlig-Schoenian, Leiter der Fachgruppe PM macht Schule, hat darüber mit Martin Steinicke von der Hochschule für Technik & Wirtschaft in Berlin gesprochen.

 

Herr Steinicke, Sie sind Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik & Wirtschaft in Berlin und unter anderem Mitglied der Forschungsgruppe Creative Media, die sich in dem breiten Spannungsfeld zwischen interaktiven Medien, Lernkulturen, Marken und innovativen Technologien bewegt. „Gamification ist das neue Zauberwort der Bildungsdebatte“ schrieb DIE ZEIT vor Kurzem. „Wer sich dafür interessiert, wie Schüler motivierter, Unterricht besser und Schulen gerechter werden können, wird an diesem Ausdruck in den kommenden Jahren nicht mehr vorbeikommen“, heißt es dort weiter. Ist das nun wieder einer der vielen kurzlebigen Hypes der Internetbranche oder wirklich ein solider Weg, das Lernen im Zeitalter der Digitalisierung neu zu denken?

Steinicke: Zunächst müsste geklärt werden, was denn genau unter Gamification zu verstehen ist. Einige Autoren verstehen hierunter die Verwendung von Spielelementen – also keine „kompletten“ Spiele – in Nicht-Spiel-Kontexten. Das bedeutet oft, relativ beliebige Mechaniken – wie Punkte oder Abzeichen – bestehenden Systemen überzustülpen. Das funktioniert erstaunlicherweise gut – zumindest so lange bis Mitarbeitende oder Lernende durchschauen, dass sie manipuliert werden. Wenn man, wie bei SAP, massiv Punkte für das Erstellen von neuen Wissensdatenbankartikeln vergibt, muss man sich auch nicht wundern, wenn die „Spieler“ lieber viele neue Artikel anlegen statt bestehende auszubauen. Und die Frage bleibt, ob es möglich ist, für jeden Kontext ein lückenloses Bewertungssystem zu finden.

Fallen Serious Games in die Kategorie Gamification?

Steinicke: Die klassischen Definitionen grenzen sich tatsächlich von Konzepten wie Serious Games / Lernspiele / Game-based Learning ab – natürlich auch, um den Begriff Gamification als etwas Neues zu positionieren. Nachdem Marketingagenturen auf den Zug aufgesprungen sind und es mit der BLAP-Gamification übertrieben haben, gab es aber auch Versuche, neue Begriffe einzuführen oder den Begriff weiter zu fassen und auch spielerisches / spielbasiertes Lernen und Serious Games als Gamification zu bezeichnen.

Moment – was ist denn „BLAP“?

Steinicke: Das steht einerseits als Akronym für Badges, Leaderboards, Achievements und Points aber auch als Sound, wenn man einen „Eimer voll“ solcher Mechaniken planlos auf ein bestehendes System kippt. Gute Spiele hingegen werden nicht einfach als Sammlung von Spielmechaniken, sondern als stimmige Experience entwickelt. Genauso muss jeder ernsthafte Gamification-Ansatz nicht einfach nur Schokolade über den Brokkoli kippen. Vielmehr geht es darum zu verstehen, was das System für alle Beteiligten leisten soll und es dann weiter oder neu zu denken.

Was bedeutet das, Ihrer Meinung nach, konkret für das System Schule?

Steinicke: Das System Schule auf der Makroebene neu zu designen, hätte natürlich die größten Auswirkungen. Das mag jetzt schockieren, aber ich denke da zuallererst an mehr Lehrerinnen und Lehrer, kleinere Klassen, agilere Strukturen und ja vielleicht auch etwas mehr Wertschätzung für engagierte und innovative Lehrkräfte. Dann wäre schon ein entscheidender Schritt getan – auch hinsichtlich der im ZEIT-Artikel genannten Punkte, an denen Gamification jetzt „die Karre aus dem Dreck ziehen“ soll. Zum Beispiel könnte durch Digitalisierungsprojekte der Verwaltungsaufwand für Lehrkräfte deutlich reduziert werden. Wenn schließlich mit Konzepten aus Gamification beziehungsweise User Experience Design der schulische Alltag und Rahmen verbessert wird, hätten wir ein Bildungssystem, was den Anforderungen dieses Jahrhunderts entspräche.

Das klingt nach einer großen Lösung. Da bin ich in Bezug auf die Realisierungschancen eher skeptisch. Wie könnte ein niederschwelliger Einstieg aussehen?

Steinicke: Zunächst sollte jede Lehrkraft den eigenen Unterricht immer wieder analysieren. Sie kennt den eigenen Stand und auch die Prozesse und Themen, die nicht optimal laufen. Ich denke, hier kann mit wohl durchdachten Interventionen Unterricht weiterentwickelt werden. Ob das dann im Einzelfall heißt, dass tatsächlich ein kommerzielles Entertainment Game oder Serious Game in den Unterricht eingebunden wird oder Schülerinnen und Schüler ihren eigenen Skill-Tree wie in einem Rollenspiel entwickeln oder gar in Projekten eigene Spiele konzipieren, hängt dann von den Zielen, Themen, Kompetenzen und organisatorischen Rahmenbedingungen ab.

Spiele-Entwicklung als Projekt – das hört sich spannend an. Welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen wären dafür notwendig?

Steinicke: Gerade Spiele in eigenen Projekten im Team zu entwickeln, schult wichtige fachliche und personale Kompetenzen. Dies erfordert aber auch eine entsprechende zeitliche Ausgestaltung und verträgt sich weniger mit einer 45-Minuten-Schulstunde. Hier wären Projektwochen oder aber eine fächerübergreifende Arbeitsweise notwendig. Gerade letzteres erfordert aber erst einmal eine gewisse Offenheit und Expertise in der Umsetzung. Hier braucht es Weiterbildungen für Lehrende und den Austausch von Best Practices. Sobald auch digitale Ansätze verfolgt werden beziehungsweise kommerzielle Spiele und Lösungen genutzt werden sollen, braucht es dann natürlich auch Budgets für Lehrerinnen und Lehrer. Denn nur, wenn es (wie in anderen Ländern) einen Markt gibt, können Entwicklerinnen und Entwickler auch von ihrer Arbeit leben. Momentan sind wahrscheinlich die meisten Serious Games für deutsche Schulkontexte entweder Studierendenprojekte oder primär aus Fördermittelprojekten finanziert. Die Firma The Good Evil hat beispielsweise ein digitales Spiel entwickelt, welches das Fähigkeitsselbstkonzept von Mädchen in Bezug auf technische Herausforderungen schult, Gentle Troll kann Schülerinnen für Handwerksberufe und -unternehmen begeistern und meine Studierenden haben einen Prototypen zum Thema Stöchiometrie (Chemie) entwickelt.

Mit Prototypen oder einer Einmalfinanzierung ist es jedoch nie getan. Gerade im Mobile-Bereich kann es passieren, dass ein Spiel schon nach einigen Monaten nicht mehr läuft, weil neue Betriebssystemversionen oft nicht abwärtskompatibel sind. Hier braucht es also einen Markt, um langfristige Einnahmequellen und so auch die Wartung zu sichern. Da dies momentan nicht gegeben ist, rate ich meinen Studierenden, sich in anderen europäischen Ländern selbstständig zu machen oder den Fokus auf Schulungen oder arbeitsplatzbezogenes Lernen im Unternehmenskontext zu legen.

Warum sieht es im Bereich der beruflichen Weiterbildung besser aus?

Steinicke: Durch den Fachkräftemangel und die gute Konjunktur spürt die Wirtschaft einen hohen Druck, neue Mitarbeitende zu gewinnen und diese schnell mit Themen wie „Prozess- und Projektmanagement“ oder „Regulierung“ vertraut zu machen. Zudem müssen sich Mitarbeitende in allen Bereichen zunehmend weiterentwickeln, ohne dass sie wochenlang freigestellt werden. Da dies überlebenswichtige Punkte sind, wird auch eher – zumindest bei mittleren und größeren Unternehmen – investiert. Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft erkennen, dass Geld in die Bildung unserer Kinder ebenso gut investiert ist und würde mich freuen, wenn ein Teil davon genutzt wird, um Schule und Unterricht auch mittels Gamification weiterzuentwickeln.

Herr Steinicke, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Jürgen Uhlig-Schoenian leitet die GPM Fachgruppe Projektmanagement macht Schule. Er informiert über die zunehmende Akzeptanz von Projektmanagement im Bildungsbereich, stellt Best Practices vor und gibt Impulse für einen Meinungsaustausch zwischen Wirtschaft und Schule.


Jürgen Uhlig-Schoenian leitet die GPM Fachgruppe Projektmanagement macht Schule. Er informiert über die zunehmende Akzeptanz von Projektmanagement im Bildungsbereich, stellt Best Practices vor und gibt Impulse für einen Meinungsaustausch zwischen Wirtschaft und Schule.


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