– 20.12.2019

Gefährliche Harmonie

Wie der Hang zur Harmonie den Projekterfolg gefährdet


Für viele Projektleiter ist ein Kritikgespräch eine unangenehme Aufgabe. Ihnen fällt es schwer, einem Projektmitarbeiter sein Fehlverhalten erklären zu müssen – fürchten sie doch, dass der Mitarbeiter mit Unverständnis reagiert oder sich endlos rechtfertigt. Also schieben sie das fällige Gespräch hinaus. Und schon schnappt die Harmoniefalle zu.

Projektleiter Markus F. hat Ärger in seinem Projekt. Einer seiner Mitarbeiter hat einen Zwischenbericht vor dem Lenkungsausschuss präsentiert. Er war schlecht vorbereitet und einige seiner Folien enthielten falsche Zahlen. „Man kann sich auf Herrn Müller überhaupt nicht verlassen“, beschwerte sich ein anwesender Abteilungsleiter. Markus F. ist die Unzuverlässigkeit seines Mitarbeiters schon länger aufgefallen. Er spürt auch, wie dessen Verhalten die Zusammenarbeit im Projekt belastet – und eigentlich ist ihm klar: Ein Kritikgespräch steht an. Am liebsten würde er diesem Gespräch jedoch aus dem Weg gehen.

Viele fachlich gut ausgebildete Projektleiter weichen Konflikten systematisch aus. Sie setzen auf ihre gute Fach- und Methodenkompetenz und vermeiden Auseinandersetzungen, die mit der Sache nichts zu tun haben. Sie halten ein Team – überspitzt formuliert – für eine Kuschelgruppe. Eine gefährliche Haltung: Teamwork ist kein Selbstläufer, Konflikte sind in jedem Projektteam vorprogrammiert – und ein Projektleiter steht immer vor der Aufgabe, sich in Konfliktsituationen seine eigene Autorität erarbeiten zu müssen.

Konflikte erledigen sich meist nicht von selbst. Im Gegenteil: Wenn wir problematisches Verhalten nicht ansprechen, verlieren wir als Projektleiter unsere für kritische Situationen dringend benötige Autorität.

Über den Wert der Harmonie

Es stellt sich daher die Frage, warum Projektleiter oft die Konfrontation scheuen – und stattdessen nach Harmonie streben? Der Grund dafür dürfte wohl darin liegen, dass sie die negativen Folgen einer Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter fürchten. In ihren Köpfen spielen sich geradezu furchterregende Schreckensszenarien ab. Sie glauben, im Falle einer Konfrontation einen hohen Preis zahlen zu müssen. Dagegen versprechen sie sich einen positiven Effekt, wenn sie die Sache auf sich beruhen lassen. Sie setzen lieber auf Harmonie, anstatt in den Ring zu steigen. Sie machen einen Rückzieher und vermeiden das fällige Kritikgespräch. 

Einer Realitätsprüfung hält diese Sichtweise kaum stand. Trotzdem bestimmt sie das Verhalten vieler Projektleiter. Irregeleitet durch diese Glaubenssätze schnappt die Harmoniefalle ein ums andere Mal zu.

Der wahre Preis der Harmoniefalle

Wenn wir das Fehlverhalten eines Mitarbeiters nicht ansprechen, besteht die Gefahr, dass sich dessen nachlässiges Verhalten wie eine Krankheit ausbreitet – getreu dem Motto: „Wenn der sich das erlauben kann, dann kann ich das auch…“ Außerdem belastet das Fehlverhalten eines Teammitglieds immer auch den Zusammenhalt des Teams. Die Motivation lässt nach und in der Folge auch die Produktivität des Teams.

Mit dem Drang, bei allen beliebt sein zu wollen, erreichen wir schnell das Gegenteil: Die dauerhafte Nettigkeit legen uns die Mitarbeiter als fehlende Konfliktfähigkeit und vor allem als mangelnde Durchsetzungsfähigkeit aus. So verlieren wir früher oder später die Akzeptanz und den Respekt unserer Mitarbeiter – und zahlen einen hohen Preis für unsere Angst vor einem Kritikgespräch.

Wenn das Kritikgespräch eskaliert

Was ist die Konsequenz? Falsch wäre es, daraus nun auf den Abgesang der Harmonie und auf ein flammendes Plädoyer für einen konfrontativen Führungsstil zu schließen. Es geht vielmehr darum, Kritik zu formulieren, ohne dabei die Harmonie im Projekt aufs Spiel zu setzen. Anstatt beide Aspekte alternativ zu betrachten, besteht die Herausforderung darin, in einer schwierigen Situation beides im Blick zu behalten.

Das ist oft leichter gesagt als getan. Einem Menschen ein Fehlverhalten mitzuteilen, ist nicht einfach. Ein Kritikgespräch birgt immer die Gefahr, zu eskalieren und in gegenseitigen Anschuldigungen zu enden. Unversehens findet sich der Projektleiter in einer Situation wieder, in der er glaubt, sich für seine Kritik entschuldigen, womöglich rechtfertigen zu müssen. Es geht aber auch anders: Die Kunst besteht darin, eine Situation anzusprechen, ohne das Gegenüber „anzuklagen“.


Sachliche Kritik in vier Schritten

  • Schildern Sie die Situation neutral und sachlich, so dass der Mitarbeiter die Kritik nachvollziehen kann. Wichtig ist, dass Sie an dieser Stelle nur berichten, was Sie beobachtet oder erfahren haben – nicht jedoch werten.
  • Im nächsten Schritt können Sie beschreiben, wie das Fehlverhalten emotional auf Sie wirkt. Dabei müssen Sie abwägen, inwieweit der Einblick in Ihre eigene Gefühlslage das Gegenüber zum Nachdenken bringen kann.
  • Nun zeigen Sie die Konsequenzen und Auswirkungen des kritisierten Sachverhalts auf – und zwar so, dass der Mitarbeiter begreift, welche Folgen sein Handeln hatte. Der Mitarbeiter kann nun selbst beurteilen, ob er die Folgen seines Verhaltens so beabsichtigt hatte.
  • Formulieren Sie Ihre Wünsche oder Erwartungen an den Mitarbeiter, wie die Situation verbessert werden kann. Hat der Mitarbeiter sein Fehlverhalten eingesehen, wird er sie wohl beherzigen. Zumindest stehen die Chancen dafür viel besser, als wenn Sie mit der Tür ins Haus gefallen wären.


Survival-Tipps

  • Auf Fehlverhalten müssen Mitarbeiter zeitnah angesprochen werden. Also gilt: keine Fehler sammeln wie Rabattmarken, um irgendwann zum Rundumschlag auszuholen.
  • Führen Sie Kritikgespräche am besten persönlich, d. h. möglichst nicht am Telefon – und immer unter vier Augen.
  • Tadeln Sie den Mitarbeiter nicht vor Dritten, schon gar nicht vor Kunden. Und berichten Sie nicht Unbeteiligten darüber.
  • Benennen Sie klar und deutlich, womit Sie nicht zufrieden sind. Reden Sie nicht um den heißen Brei herum und werfen Sie keine Nebelbomben.
  • Beschreiben Sie das Problem so konkret wie möglich. Beschränken Sie sich auf aktuelle und wesentliche Situationen.
  • Beobachten Sie die Umsetzung. Machen Sie aber keine heimlichen Kontrollen. Seien Sie nicht nachtragend. Und sprechen Sie für sichtbare Verbesserungen ein Lob aus.


Mario Neumann fühlt sich als „Projekt-Abenteurer“, seit er seinen Job als Projektleiter vor über 20 Jahren bei Hewlett-Packard antrat. In dieser Zeit und seit 2008 als selbständiger Trainer und Berater entwickelte er sein Konzept für „Situatives Projektmanagement“, mit dem er Projektleiter für alle Phasen ihrer Projekte fit macht. Mit „Projekt-Safari“ legte Mario Neumann ein Handbuch vor, das innerhalb kürzester Zeit zum angesagten Must-have für Projektmanager wurde. In diesem Blog berichtet er über typische Aspekte seiner Arbeit.


Mario Neumann fühlt sich als „Projekt-Abenteurer“, seit er seinen Job als Projektleiter vor über 20 Jahren bei Hewlett-Packard antrat. In dieser Zeit und seit 2008 als selbständiger Trainer und Berater entwickelte er sein Konzept für „Situatives Projektmanagement“, mit dem er Projektleiter für alle Phasen ihrer Projekte fit macht. Mit „Projekt-Safari“ legte Mario Neumann ein Handbuch vor, das innerhalb kürzester Zeit zum angesagten Must-have für Projektmanager wurde. In diesem Blog berichtet er über typische Aspekte seiner Arbeit.


Kommentare

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25.01.2024 – 19:13

peter donath

eine ausgezeichnete Abhandlung, die obwohl basierend auf Projektthematik fokussiert, auch auf Interaktion in Teamorganisationen übertragbar ist. Defakto ist der Konflikt sauber kommuniziert und durchgeführt ein klärender Akt ohne allfälligen Verletzungen.

25.01.2024 – 19:13

Marc Cahannes

Hallo Herr Neumann, danke für Ihren Rat in diesem Beitrag,

Ich schreibe zur Zeit meine Masterarbeit über das Kritikgespräch an Führungskräften bei Fehlverhalten. Haben Sie in dieser Richtung bereits erste Quantitative auswertungen und Zahlen erhalten. Oder kennen Sie dabei die eine oder andere Studie dazu. Ich fand bis heute nichts was nützlich sein könnte, ausser das normale Kritikgespräch.

Besten dank für Ihre Antwort.

Liebe Grüsse Marc Cahannes