Dr. Maximilian Müller
– 07.07.2025Geteilte Führung: Wenn nicht die Visitenkarte, sondern das Verhalten zählt
In klassischen Organisationen war lange klar, wer führt: die Person mit der entsprechenden Jobbezeichnung. Doch diese Denkweise wird zunehmend von Konzepten abgelöst, die Führung als gemeinschaftlichen Prozess verstehen.
Geteilte Führung - im Englischen „Shared Leadership“ - bedeutet, dass nicht eine einzelne Person alle Führungsaufgaben übernimmt, sondern diese je nach Expertise, Situation und Motivation im Team verteilt werden.
Was ist geteilte Führung?
Geteilte Führung - oder „Shared Leadership“ - ist ein Konzept, das pluralistische Modelle der Führung aufgreift. Führung wird nicht mehr an einer einzelnen Person festgemacht, sondern daran, wer tatsächlich Führungsfunktionen übernimmt. Es geht nicht darum, wer offiziell als Projektleiter benannt ist, sondern wie Führungsverantwortung im Team verteilt wird.
Im Unterschied zur klassischen hierarchischen Führung, in der oft alle Verantwortung bei einer Person liegt, geht Shared Leadership davon aus, dass niemand alle Aufgaben optimal alleine erfüllen kann. In der Praxis bedeutet das: Verschiedene Teammitglieder übernehmen situativ Führungsrollen - entweder von Beginn an oder im Laufe des Projekts. Die Rolle der formalen Leitung verschiebt sich zunehmend in Richtung Moderation und Koordination.
Warum geteilte Führung wichtig ist
Gerade in komplexen, temporären Organisationen wie etwa in Produktenwicklungsprojekten zeigt sich der Mehrwert geteilter Führung besonders deutlich. Eine einzelne Führungskraft kann in solchen Umfeldern schlicht nicht alle Themen abdecken. Wenn sämtliche Entscheidungen zentral getroffen werden müssen, entstehen schnell Engpässe und Verzögerungen - ein Risiko, das bei hoher Dynamik besonders gravierend ist.
Geteilte Führung ermöglicht es, dass die Person mit der größten Expertise zu einem Thema die Führung übernimmt. So lassen sich Entscheidungen beschleunigen und Prozesse effizient gestalten. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich dieses Vorgehen positiv auf die Performance auswirkt. Dezentral organisierte Teams können so ihre Kompetenzen optimal einbringen, schneller auf Veränderungen reagieren und komplexe Aufgaben besser koordinieren.
Wie geteilte Führung entsteht
Häufig ist es so, dass Führungskräfte den Begriff „Shared Leadership“ gar nicht explizit kennen. Sie arbeiten in hierarchischen Organisationsstrukturen, die in der Realität aber einem Netzwerk aus Verantwortlichkeiten ähneln.
Die Entstehung geteilter Führung ist oft ein unbewusster, emergenter Prozess: Menschen übernehmen Verantwortung, wenn sie ein unerledigtes Thema sehen oder sich für ein Anliegen einsetzen wollen. Gleichzeitig kann geteilte Führung auch bewusst gefördert werden - etwa durch Stellvertreterregelungen oder Rollen, die Führungsaufgaben explizit vorsehen. Letztlich entsteht Führung also sowohl von oben durch Strukturen als auch von unten durch Eigeninitiative. Gerade diese Dynamik macht das Konzept so spannend.
Vorteile geteilter Führung
Geteilte Führung bietet zahlreiche Vorteile. Zunächst ist sie realistischer und leistungsfähiger in komplexen Projektumgebungen, weil sie Engpässe in der Entscheidungsfindung verhindert und die Expertise aller Teammitglieder nutzbar macht. So werden Prozesse beschleunigt und die Qualität der Ergebnisse verbessert.
Für Mitarbeitende bedeutet geteilte Führung mehr Selbstwirksamkeit und Gestaltungsspielraum. Wer Verantwortung übernehmen kann, erlebt mehr Sinnhaftigkeit und Einflussmöglichkeiten. Zudem fördert geteilte Führung die persönliche Weiterentwicklung, weil Mitarbeitende gezielt Aufgaben wählen, die sie als wertvoll empfinden und die ihrer fachlichen oder persönlichen Entwicklung dienen.
Risiken geteilter Führung
Neben den Vorteilen gibt es auch einige Herausforderungen. Ein Risiko besteht darin, dass Verantwortlichkeiten unklar werden. Wenn nicht transparent geregelt ist, wer für ein Thema zuständig ist, kann dies zu Verunsicherung, Doppelarbeit oder liegengebliebenen Aufgaben führen.
Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn der formale Projektleiter das Abgeben von Verantwortung als Bedrohung empfindet. Es braucht Akzeptanz und Vertrauen, um die Eigeninitiative der Teammitglieder zu unterstützen. Nicht zuletzt ist geteilte Führung ein dynamisches Modell: Zuständigkeiten wechseln mitunter, etwa bei Krankheit oder Elternzeit - das erfordert Flexibilität und klare Kommunikation.
Geteilte Führung fördern
Damit geteilte Führung wirksam wird, braucht es vor allem eine Kultur des Vertrauens und der Eigenverantwortung. Der formale Projektleiter muss bereit sein, Verantwortung abzugeben und den Beitrag der anderen anzuerkennen.
Organisationen können den Rahmen schaffen, indem sie klare Regeln und Strukturen etablieren, etwa Stellvertreterregelungen oder Rollenkonzepte, die Führungsaufgaben verteilen. Besonders wichtig ist, nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Teams in Führungskompetenzen zu stärken. Wenn alle befähigt sind, Führungsrollen zu übernehmen, kann sich Führung flexibel je nach Situation und Kompetenz verteilen. So wird Leadership von einer individuellen Aufgabe zu einer echten Teamleistung.
Dr. Maximilian Müller spricht beim 34. IPMA World Congress zum Thema "Die Entstehung von geteilter Führung in Projektteams und wie es beeinflusst werden kann". Weitere Informationen zum IPMA World Congress und die Möglichkeit zur Ticketbuchung finden Sie hier.
Keine Kommentare
Kommentare