– 23.06.2023

Intrapreneurship: Idealerweise Teil der DNA – Interview mit Dr. Christian Stumpf (TenneT)

Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel, geopolitische Krisen… Um die Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, befinden sich Organisationen in der Transformation. Sie arbeiten daran, ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und setzen dabei zunehmend auf Intrapreneurship-Maßnahmen.

Doch sind sie nur Hype?

Um Einblicke in den aktuellen Stand in Wissenschaft und Praxis zu bekommen, lädt die Arbeitsgruppe „Studie Intrapreneurship und Projektmanagement" der Fachgruppe PM-Expertinnen der GPM, Intrapreneurship-Experten und -Expertinnen zum Interview ein.


Zu Gast in diesem Beitrag: Dr. Christian Stumpf

Dr. Christian Stumpf war maßgeblich am Auf- und Ausbau des Intrapreneurship Programmes der Deutschen Bahn beteiligt, fungierte in diesem als Engagement-Lead für die initiale Validierung neuer digitaler, durch Mitarbeitende entwickelte Geschäftsmodelle. 2021 wechselt er zu TenneT, um gemeinsam mit einem Kollegen das TenneT PowerLab zu gründen, das er nun mit diesem managt. Darüber hinaus beschäftigt sich Christian aktiv mit der Implementierung unternehmerischer Denk- und Verhaltensweisen sowohl im Kern- als auch im Neugeschäft bestehender Unternehmen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mannheim und promovierte bei Professor Matthias Baum am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Technischen Universität Kaiserslautern. Zeitgleich fungiert Christian Stumpf als Coach und Mentor für zahlreiche Start-ups und fokussiert sich hierbei vor allem auf technologieorientierte und wissensbasierte Geschäftsmodelle. Eigene Start-up Erfahrung sammelte er als Head of Marketing der A+ Composites GmbH, die 2017 zu den Finalisten des Deutschen Innovationspreises zählte.

Christian, Du hast Dich in den letzten Jahren sehr intensiv mit dem Thema Intrapreneurship beschäftigt. Wie definierst Du Intrapreneurship?

Christian Stumpf: In einem Satz formuliert ist Intrapreneurship unternehmerisches Denken und Handeln in bestehenden Organisationen. 

Unternehmerisches Denken und Handeln wiederum ist für mich das proaktive Lösen von Problemen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Es hat also sehr viel mit Proaktivität zu tun, aber auch mit einer moderaten Risikofreudigkeit sowie mit Innovativität.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass unternehmerisches Denken und Handeln exklusiv im Innovationsbereich stattfinden muss.

Wir sehen gerade, zumindest in meiner Erfahrung, viele bestehende Unternehmen, deren große Herausforderung es nicht primär ist selbst Innovationen zu generieren, sondern bestehende Innovationen für sich nutzbar zu machen und das Kerngeschäft unternehmerisch zu gestalten.

Wenn wir in die Forschung schauen, und Intrapreneurship synonym mit Corporate Entrepreneurship verstehen, kann Intrapreneurship auf vielerlei Weise stattfinden. Zum Beispiel durch das Aufsetzen eines Corporate Venture Funds oder durch die Kooperation mit Start-ups.

In der Praxis hat sich allerdings in meiner Wahrnehmung durchgesetzt, dass unter Intrapreneurship verstanden wird, wenn Mitarbeitende unternehmerisch denken und handeln. Gemäß dieses Verständnisses ist Intrapreneurship ein Bottom-up-Ansatz, den jedoch immer mehr Unternehmen gezielt nähren. 

 

Wie erfolgreich sind Unternehmen im Moment damit? Was sind die Faktoren für den Erfolg?

Eine Bewertung anderer Programme möchte ich mir nicht anmaßen. Was wir aber sehen können ist, dass einige Programme die Türen schon wieder geschlossen haben. 

Wenn ein Programm nicht erfolgreich ist, heißt das aber nicht zwingend, dass es keine Projekte hervorgebracht hat, die erfolgreich waren. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen platt, aber Dinge richtig tun heißt nicht zwingend das Richtige zu tun.

Grundvoraussetzung um als Programm erfolgreich zu sein ist, dass Erfolg klar definiert und messbar ist und nachweislich auf die Unternehmensziele einzahlt

Dementsprechend hat Erfolg einen hochindividuellen Charakter. Unternehmertum oder unternehmerisches Denken und Handeln lässt sich auf ganz verschiedene Arten definieren, es hat ganz viele verschiedene Dimensionen.

Aber ich muss für mich als Unternehmen entscheiden: Was passt zu meiner Strategie und welche Elemente möchte ich gezielt fördern. Ist es vielleicht Risikofreudigkeit, ist es schnelle Entscheidungen, Portfoliodiversifikation oder geht es darum, Technologieführer zu sein? Das sind ganz viele verschiedene Dimensionen.

Wenn Unternehmen mit Intrapreneurship anfangen, sollten sie sich also erstmal bewusstwerden, welche Absicht sie damit verfolgen. Im Buch „Intrapreneurship“, hast Du in einem Artikel mit weiteren Autoren (1) diese unterschiedlichen möglichen Ausrichtungen dargestellt.

Der Artikel im Buch hat sich exklusiv auf Intrapreneurship Programme bezogen. Aber das geht natürlich über Intrapreneurship Programme hinaus.

Intrapreneurship Programme sind ein großartiges Vehikel, um Intrapreneurship zu operationalisieren. Aber idealerweise braucht es keine Extra-Programme, sondern das ist Teil der DNA.

Man sieht auch, wenn es nicht Teil der DNA ist, dann hat man im Prinzip eine Keimzelle im Intrapreneurship Programm, die letztendlich auf der Strecke bleibt, wenn Projekte ins Kerngeschäft bzw. an die bestehenden Units übergeben wird.

 
Vielleicht ein Beispiel: Es bringt nichts, wenn ich eine Idee validiert habe und vielleicht ein Product-Market-Fit erwirkt habe, [aber] Budget brauche, [das] vor 10 Wochen in die Mittelfristplanung hätte gehen müssen. Das heißt, da kollidieren zwei Welten.

 

Wie bist Du zum Thema Intrapreneurship gekommen? 

Ich habe ursprünglich BWL studiert und gemeinsam mit meinem Doktorvater und einem kleinen Team einen Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Technischen Universität in Kaiserslautern aufgebaut.

Schnell wurde klar, dass der politische Auftrag in der Region war, das Innovationspotential gesamt zu heben. Also nicht die Entwicklung von Start-ups zu unterstützen, sondern beispielsweise auch bestehende Unternehmen mit jungen Unternehmen zu verknüpfen.

Und so bin ich an das Thema unternehmerisches Denken und Handeln auch in bestehenden Unternehmen gekommen.

Ich war dann eine Zeit lang in einem Start-up, das ich zunächst als Coach begleitet habe, habe mich dann aber gegen einen mittelfristigen Verbleib in der Region entschieden. 

Und ich dachte, wenn ich nicht im Start-Up sein kann, dann möchte ich wenigstens in einem Start-Up ähnlichen Umfeld im Angestelltenverhältnis arbeiten. Und so habe ich dann nach einem Rebrand den Engagement-Lead im Programm der Deutschen Bahn übernommen.

Einer jener Intrapreneure bei der Deutschen Bahn ist ein ehemaliger TenneT [Mitarbeiter] und stellte den Kontakt zu einem aktuellen Mitarbeiter bei TenneT her, der früh die Potentiale von Intrapreneurship für TenneT sah. Ich bin dann schließlich zu TenneT gewechselt, um gemeinsam mit ihm das PowerLab zu gründen, das wir nun auch gemeinsam managen.

TenneT ist ein Übertragungsnetzbetreiber, das heißt ein riesengroßer Infrastruktur-Player, in der Energiewende. TenneT‘s Not ist es eben nicht, Portfoliodiversifikation zu betreiben oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um am Markt bestehen zu können, sondern die Energiewende unternehmerisch zu gestalten und voranzutreiben. 

Dementsprechend haben wir hier auch einen ganz anderen Auftrag als manch anderes Programm, bei denen es darum geht zur Überlebensfähigkeit des Unternehmens beizutragen.

 

Es zeigt, wie vielfältig der Bedarf für dieses Mindset in allen Branchen ist! 

Wenn wir uns den Kontext von Projektmanagement anschauen, zusammen mit deiner Erfahrung in Unternehmen und natürlich auch aus der Start-Up Szene:  Hast Du eine Verbindung zwischen Projektmanagement, Intrapreneurship, Start-up, unternehmerisches Denken schon erlebt? Kannst Du nachvollziehen, dass wir diese Verbindung mit der Studie versuchen zu schaffen?

Absolut. Nehmen wir an ich möchte eine Idee, ein Problem oder Product-Market-fit validieren, dann folgt es einer gewissen Prozess-Logik.

Ähnlich wie beim Projekt oder beim klassischen Projektmanagement muss ich vorher definieren: Was ist das Ziel, was ist der Scope, was möchte ich erreichen?

Das ist vor allen Dingen im unternehmerischen Denken und Handeln sehr wichtig, weil uns viele Dinge am Anfang erstmal überwältigen. Nehmen wir an, es ist 1994 und ich habe Amazon im Kopf. Mein Auftrag ist es, den Digital Twin des Einzelhandels zu bauen. Wo fange ich an? What’s in Scope, what’s not? Wie definiere ich Erfolg? Wie breche ich das runter? Wie mache ich Dinge besprechbar?

Die, die erfolgreich sind, sind eben diejenigen, die sprichwörtlich den Elefanten in Scheiben schneiden können, die sich, im Prinzip wie im klassischen Projektmanagement, Komplexität herunterbrechen können. 

Was sich geändert hat, im Vergleich zum klassischen Projektmanagement, ist, dass das agil stattfinden muss. 

Wenn wir bei uns von technischen Innovationen sprechen, dann reden wir von Kostenblöcken in die Millionen, wenn nicht in die Milliarden. Das bedeutet, niemand setzt sein Okay unter einem Milliarden-Projekt an Tag 1. Wir schneiden mit einer iterativen Vorgehensweise auch Risiko in Scheiben. Das ist eben essentiell, um a) dieses Risiko zu managen, aber b) auch mit der Risikoaversion der Stakeholder umzugehen. Schneide so, dass du bis dahin überblicken kannst. Dementsprechend würde ich sagen, dass es eine essenzielle Verbindung zum Projektmanagement gibt.

Und trotzdem noch ein gewisser Unterschied. Visionen und „Groß denken“ ist sehr typisch für das Start-up-Mindset und weniger vielleicht im Projektmanagement.

Die Analogie wäre wahrscheinlich „Programm“.  Ich habe ein Programm, es heißt Amazon zum Beispiel. Oder: Ich möchte den Hautarzt der Zukunft bauen. Das hat dann verschiedene Projekte. Das wäre für mich die Analogie.

Der Schulterschluss zum Projektmanagement hat für mich mindestens 2 Dimensionen: Das eine ist das Handwerkszeug. Ich brauche ein klar definiertes Ende, ich brauche klar definierte Erfolgskriterien und so weiter. Speziell im Bereich Unternehmertum ist es wichtig das a priori zu definieren.

Maßgaben wie Return on Invest sind einfach schlechte Maße. Weil a) dauert das ultralang und b) kann es sein, dass das überhaupt nicht das Ziel ist. Wenn ich nochmal an Amazon denke: Sie waren beispielsweise lange nicht profitabel, weil sie eben reinvestiert haben.

Also dieses Thema „Was ist wirklich Erfolg?“ das gilt es zu definieren, ähnlich wie in einem Projekt.

Aber auch die Mindset-Komponente: Rollen. Beim Projektmanagement habe ich eben auch die Person, die die Ownership hat. Das ist auch essentiell in bestehenden Unternehmen, Owner für die jeweiligen Themen zu finden. Und ich finde es wirklich wichtig, dezidierte Rollen auch in Intrapreneurship Projekten zu haben. Da kann man sich im klassischen Projektmanagement einiges abschauen.

 

Was ist dein Ausblick? Du hast vorhin von Welle 2 gesprochen, was wäre für dich eine dritte Welle, wenn es sie überhaupt gibt?

Ich glaube, dass Intrapreneurship ein Mitarbeiter-Push bekommt. Das heißt, dass Menschen zunehmend unternehmerisch denken und handeln wollen. Viele sind ursprünglich gestartet, aus einem Marktdruck heraus: „Wir müssen irgendwas machen, sonst gehen wir alle den Bach runter und sind das nächste Nokia“.

Aber ich glaube, dass sich der Anspruch an Arbeit zunehmend ändert. Und vielleicht letzter Punkt dazu, wir reden immer von der Generation Z, und dass sie unternehmerisch denken und handeln möchte – und das finde ich auch super – aber wenn wir uns die Realität in Unternehmen anschauen, wird der Großteil nicht unter 35 sein, sondern eben über 40.

Dementsprechend glaube ich, dass auch das unternehmerische Denken und Handeln und das, was damit einhergeht, also Autonomie, „selbst am Steuerrad sitzen“, „selbst Dinge treiben“, ein wichtiger Bestandteil ist für Mitarbeitermotivation, und immer wichtiger wird auch im Hinblick auf unserem demografischen Wandel in Unternehmen.

Das würde ich sagen, ist der nächste Schritt: die Möglichkeit sich unternehmerisch zu verhalten wird aktiv vom Arbeitsmarkt eingefordert.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

(1)    Stumpf, C., Isidor, R., Baum, M., Meßner-Schmitt F., Gestaltungsoptionen von Intrapreneurship-Programmen, in: Intrapreneurship, 2022, Springer Gabler, Berlin, hrg.: Rafaela Kraus, Tanja Kreitenweis, Brigita Jeraj,  ISBN 978-3-662-64102-6

 

Mehr zur Arbeitsgruppe „Studie Intrapreneurship und Projektmanagement" der Fachgruppe PM-Expertinnen der GPM unter: https://www.gpm-ipma.de/netzwerk/facharbeit/pm-expertinnen


Entscheidend ist die „Intrapreneurship Readiness“ – Interview mit Prof. Dr. Rodrigo Isidor

21 Jahre lang widmete sie sich leidenschaftlich dem Projekt- und Prozessmanagement in der Automobilindustrie im internationalen Kontext. Als freiberuflicher Agile Coach und Intrapreneurship Coach unterstützt Guénola Langenberg heute Menschen und Organisationen, Innovationen und Transformationsvorhaben umzusetzen. Sie setzt sich besonders für eine werte-orientierte und co-kreative Zusammenarbeit in Organisationen und Projekten ein.


21 Jahre lang widmete sie sich leidenschaftlich dem Projekt- und Prozessmanagement in der Automobilindustrie im internationalen Kontext. Als freiberuflicher Agile Coach und Intrapreneurship Coach unterstützt Guénola Langenberg heute Menschen und Organisationen, Innovationen und Transformationsvorhaben umzusetzen. Sie setzt sich besonders für eine werte-orientierte und co-kreative Zusammenarbeit in Organisationen und Projekten ein.


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