Prof. Dr. Heinz Schelle
– 30.07.2014Projektklassifikationen und Handlungsempfehlungen für das Projektmanagement
Projektklassifikationen, was für ein langweiliges Thema. In Lehrbüchern wird das einschlägige Kapitel vom Leser meist überschlagen. Es gibt eine kaum mehr überschaubare Zahl von solchen Klassifikationen. Sie finden sich sowohl in der Literatur als auch in den Projektmanagement-Handbüchern von Unternehmen. Dabei kann man zwei große Gruppen von Kategorisierungsversuchen unterscheiden:
- Klassifikationen, mit denen lediglich versucht wird, etwas Ordnung in die Mannigfaltigkeit der Realität zu bringen und
- Klassifikationen, die unmittelbar mit Handlungsempfehlungen verknüpft sind.
Zu ersten Art gehören Unterscheidungen wie externe und interne Projekte oder die Differenzierung nach Investitions-, Organisations- und F&E-Projekten. Diese Klasse soll uns hier nicht weiter interessieren.
In unserem Zusammenhang ist lediglich die zweite Klasse von Interesse.
Eine sehr frühe Unterscheidung stammt von McFarlan (Portfolio Approach to Information Systems. In: Harvard Business Review September/October 1981). Kostenpflichtiger Download des gesamten Artikels hier und Sizemore House. Die beiden Autoren wählen zwei Dimensionen:
- 1. die Erfahrung, die der Auftragnehmer mit der zugrunde gelegten Technologie hat und
- 2. die Verbindlichkeit der Projektziele bei Projektbeginn.
Weiterhin werden auf der Methodenseite
- Planungs- und Kontrollmethoden (Formal Planning, Formal Control) – also Projektkoordination durch Pläne,
- Methoden der internen Integration und
- Methoden der externen Integration
unterschieden.
Mit interner Integration ist vorrangig die Auswahl des Projektleiters und der Projektteammitglieder gemeint, außerdem die Gestaltung der Beziehungen im Projektteam. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den Konflikten im Projekt zuteil. Unter externer Integration verstehen die Verfasser die systematische Gestaltung der Beziehungen zum internen oder externen Auftraggeber, aber auch zu anderen Stakeholdern – zu Individuen, Gruppen und Institutionen also, die ein Interesse am Projekt beziehungsweise am Projektergebnis haben.
Aus Bild 1 geht hervor, welchen Instrumenten bei der jeweiligen Projektkategorie besonderes Gewicht zukommt. Die Matrix zeigt: Der enge Kontakt zum Auftraggeber ist besonders wichtig, solange die Projektziele noch nicht präzise definiert sind (II und IV). Bei unerfahrenen Teams spielt die Teambildung (= interne Integration) eine besondere Rolle. In diesen Fällen muss der Projektleiter sozial kompetent, aber auch fachlich hoch qualifiziert sein.

Die technokratischen Instrumente besitzen besondere Bedeutung, wenn das Unternehmen bereits viel Erfahrung mit dem jeweiligen Projekttypen besitzt (I und II). Solche Vorhaben sind für die Mitarbeiter bereits Routineprojekte, bei denen man eine hohe Termin- und Kostentreue erwartet und die kein Misserfolg werden dürfen – zum Beispiel ein Bauprojekt, das in ähnlicher Form schon einmal durchgeführt wurde. Den Vorgaben des Planungs- und Kontrollsystems, über die auf das Team ein gewisser Druck ausgeübt wird, kommt dabei eine relativ hohe Verbindlichkeit zu. Die laufenden Soll-Ist-Vergleiche sind bei diesen Projekten recht aussagefähig.
Bei Projekttyp II liegt das Hauptgewicht auf der Änderungskontrolle. Ohne rigoroses Konfigurationsmanagement können aus solchen Vorhaben schnell Katastrophenprojekte werden. Beispiele für Kategorie II sind die Projekte „Allgemeines Krankenhaus Wien“ und „Klinikum Aachen“.
Kontigenzmodell nach McFarlan und Sizemore House
Der Ansatz von McFarlan und Sizemore House läuft auf ein Kontingenzmodell hinaus. Das bedeutet: Es hängt von der Projektart ab, welche Instrumente mit welcher Intensität eingesetzt werden müssen. Ein solcher Ansatz stellt gegenüber den meist sehr undifferenzierten Handlungsempfehlungen in der Literatur einen erheblichen Fortschritt dar. In der Praxis sind die Empfehlungen ebenfalls meist sehr wenig nach Projektarten differenziert. So findet sich z.B. bei PRINCE2 kaum eine Unterscheidung nach Projektarten.
Der Nachteil der Pionierarbeit von McFarlan und Sizemore House ist die fehlende empirische Fundierung.
In den letzten Jahrzehnten ist die Arbeit an einem Kontingenzmodell kaum weitergeführt worden. Es gilt immer noch der meist unausgesprochene Grundsatz: „One size fits all.“
Der Diamond Approach von Shenhar und Dvir
Es gibt allerdings eine sehr bemerkenswerte Ausnahme: Es ist die Arbeit von Shenhar und Dvir. Den beiden geht es, wie sie betonen, um die systematische Lösung des Problems „to adopt the right management style to each project.“ Ihr sogenannter Diamond-Approach stützt sich allerdings auf umfangreiche empirische Daten. Sie wählen für die Charakterisierung von Projekten vier Attribute
- den Neuheitsgrad der zu erstellenden Projektleistung,
- die im Projekt angewandte Technologie oder genauer: die inhärenten Risiken der Technologie
- die Komplexität des Projekts
- den Zeitdruck im Vorhaben (Pace)
Innerhalb jedes Attributs wird eine ordinale Skala benutzt. So wird beim Neuheitsgrad des Produkts unterschieden zwischen derivativen Produkten (Änderungen eines bestehenden Produkts oder einer schon existierenden Dienstleistung), Plattformprodukten (z.B. Entwicklung einer neuen Generation von PKW) und Produkten, die völlig neu sind und einen Durchbruch bedeuten (z.B. Entwicklung des ersten Walkman). Durch Kombination der jeweiligen Merkmalsausprägung innerhalb jeden Attributs wird eine vierdimensionale Beschreibung eines Projekts gewonnen. Dieses Klassifikationssystem wird an zahlreichen konkreten Beispielen erläutert und kann auch auf eigene Projekte angewendet werden. Aus der jeweiligen Ausprägung der vier Parameter werden auch sehr präzise und differenzierte Anweisungen z.B. für die Ablauf- und Terminplanung, für das Requirements Management und das Risikomanagement gegeben. Ich halte die Arbeit der beiden israelischen Forscher für eine der wichtigsten Publikationen der letzten Jahre. Soweit ich sehe, ist sie bisher viel zu wenig bekannt. Der beschriebene Ansatz ist sicher nicht das letzte Wort, aber ein wichtiger Schritt zur empirisch abgesicherten Differenzierung von Projekten und Managementansätzen.
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