Die fünf Stufen der Komplexität in der Entwicklung des Menschen und Herausforderungen für Projektmanagement-Kompetenzen im Jahr 2050

 

1. Als vor etwa 70.000 Jahren der Homo Sapiens seine kognitiven Fähigkeiten entwickelte, war er bzw. sie in der Lage, das Zusammenleben mit seinen ArtgenossInnen durch Kommunikation zu gestalten. Wir bezeichnen dies als die erste Stufe der Komplexität: Regeln für das Zusammenleben wurden aufgestellt und die Begründungen für diese Regeln durch Geschichten erzählt. Diese konnten über den eigenen Lebensbereich hinaus kommuniziert werden.

2. Vor ca. 12.000 Jahren entwickelte der Homo Sapiens die Kultivierung der Pflanzen und damit die Landwirtschaft, domestizierte Wildpflanzen und Wildtiere. Dadurch wurden größere Gesellschaftsformen wie Dörfer, Städte und Länder erst möglich. Parallel dazu mussten persönliche Freiheiten und Bewegungsmöglichkeiten der gesellschaftlichen Organisation unterworfen werden. Die Regeln des Zusammenlebens und die Kommunikation wurden ausgebaut und in kriegerischen Auseinandersetzungen gegen andere Stämme bzw. Völker verteidigt. Dies ist die zweite Stufe der Komplexität.

3. Die dritte Stufe der Komplexität wurde 300 v.Chr. durch Aristoteles durch seine Wissenschaftstheorie und Naturphilosophie erreicht. Darüber hinaus formulierte er die Staatsformenlehre und den Staat darin als Gemeinschaftsform. Über viele Jahrhunderte war diese die unangefochtene Autorität.

4. Aus der Wissenschaftstheorie und der Aufklärung entwickelte sich zweitausend Jahre später die vierte Stufe der Komplexität im 16. Jahrhundert. Der Homo Sapiens begann die Wissenschaften weiter zu entwickeln. Beispielhafte Vertreter waren z.B. Galileo Galilei, Kopernikus, Keppler, Paracelsus und viele andere, die ihnen nachfolgten. Gleichzeitig begann der Homo Sapiens von Europa aus mit seinen Erkundungs- und Eroberungszügen fremder Erdteile und Kontinente.

5. Der steigende Ressourcenverbrauch durch die exponentiell wachsende Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert erfordert neue interdisziplinäre, interkulturelle Lösungen. Die Agenda 2030 der UN zeigt die dafür notwendigen Entwicklungspotentiale für nachhaltige Systeme auf, um das aktuelle System zu unterbrechen und neue Paradigmen zu gestalten. Damit erreicht der Homo Sapiens die fünfte Stufe der Komplexität

Die zunehmende Digitalisierung und Standardisierung der repetitiven Prozesse führt zur Projektifizierung der Volkswirtschaft. 


Wir haben die folgenden interdisziplinären Handlungsfelder identifiziert, in denen die genannten Leadership-Fähigkeiten in komplexen und dynamischen Umgebungen dringend erforderlich sind, um neue, effektive und nachhaltige Lösungen für die Menschheit zu entwickeln:

1. Epidemien / Pandemien:
Das vorhandene Wissen und die bestehenden Technologien des 21. Jhd werden in der aktuellen Corona-Pandemie nicht bzw. nicht genügend genutzt. Es wird auf 100 Jahre alte Methoden aus der Zeit der Spanischen Grippe zurückgegriffen (Masken, Abstand, Isolierung) ohne Wirksamkeiten und Evidenz der Gegenwart zu berücksichtigen. Die Zahl der Menschen und deren Bewegungsmuster sind nicht mehr vergleichbar. Auch die Verbindung medizinisch-biologischen Wissens, der Informationstechnologien, der Soziologie und Organisationslehre wird nicht bzw. nur ungenügend genutzt. Nach der Pandemie ist vor der nächsten Pandemie, die nun wahrscheinlich in jeder Dekade neu ausbrechen werden.

2. Produktlebenszyklen: 
Produktlebenszyklen sind zur Ressourcenschonung und unter Berücksichtigung des „environmental impact“ nachhaltig zu planen und zu schließen. Dies bedingt Innovationen in neue Technologien und Betriebsmodelle. Hier sind nachhaltige Innovationen in Produktionsabläufen, deren biologischem Impact und in den daraus resultierenden Entwicklungs-, Organisations-, Vertriebs-, Nutzungs- und Recyclingmodellen notwendig.

3. Energie, Mobilität und Treibstoffe:
Energiehersteller haben den größten CO2 Fußabdruck von allen Industrien. Komplett regenerative Lösungen sind noch nicht in Sicht. Das Problem der Energiespeicherung weitgehend nicht gelöst. Ganzheitliche Mobilitäts- statt Individuallösungen sind zu entwickeln, denn auch Elektrofahrzeuge lösen nicht Verkehrsstaus und Parkprobleme in den Metropolen. Wie organisieren wir die Mobilität der Zukunft?

4. Nahrungsmittelproduktion:
Schweineschnitzel für 6 €/Kilo können nicht die Zukunft sein. Ebenso wenig die intensive Nutzung der Ackerböden durch Monokultur-Produktion wie Raps, Sonnenblumen oder Soja. Das Thema reicht von effizienter, nachhaltiger Agrarwirtschaft, Ressourcenschonung und Verteilung von Wasser bis zur Erzeugung von Nahrung im Labor.

5. Wasserknappheit:
Der Zugang zu sauberem Wasser ist essentiell für das Überleben. "Wasser und Sanitärversorgung für alle" lautet das sechste UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDGs). 2,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Der Klimawandel verschärft die Wasserknappheit und die Konkurrenz um die Wasserressourcen. Immer mehr Menschen sind gezwungen, in andere Gebiete zu ziehen.

6. Klimawandel:
Kohlendioxid durch die Verbrennung fossiler Energieträger Öl, Gas und Kohlendioxid, Methan und Lachgas, die beim Düngen, Reisanbau und Viehzucht entstehen, und fluorierte Gase aus Kühl- und Klimaanlagen und Löschwerkzeugen sind verantwortlich für den Treibhauseffekt. Die Folgen des anthropogenen Treibhauseffektes reichen vom Steigen der Meeresspiegel bis zum Schmelzen der Pole und Auftauen der Permafrostböden in denen riesige Mengen Gas aus dem Boden entweichen, die wiederum den Treibhauseffekt verstärken. Ein sich gegenseitig verstärkender Effekt, der schnellstmöglich durchbrochen werden muss. 


Diese Herausforderungen erfordern fächerübergreifende Interdisziplinarität und internationale Zusammenarbeit in Projekten. Die Zahl der Megaprojekte nimmt weltweit zu. Gleichzeitig steigt die Komplexität und Dynamik durch den massiv wachsenden Koordinationsaufwand sowohl fach- als auch kulturübergreifend. Dies bedingt dynamische, hoch anpassungsfähige Organisations- und Managementsysteme auf allen Ebenen und stellt einen hohen Anspruch an Leadership in Projekten insbesondere im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung dar. 

Wir sehen akuten Handlungsbedarf für die Ausbildung von interdisziplinärer und interkultureller Projektleadership-Kompetenzen in Schulen und Hochschulen im Hinblick auf die enorme Komplexität und Dynamik unserer Zeit. Junge Menschen sind an diese Kompetenzen frühzeitig fächer- und kulturübergreifend heranzuführen. 

Prof. Dr. Yvonne Schoper berichtet über aktuelle Forschungsthemen u. a. von (inter-)nationalen Fachtagungen und Kongressen. Ihr Forschungsgebiet ist das Interkulturelle Projektmanagement und die Themen Führung, Teamentwicklung, Selbstmanagement, Kommunikation und Coaching.


Wolfgang Glitscher (1952, Berlin), Studium der Technischen Chemie und Biochemie, Promotion TU Berlin in Biophysikalischer Chemie. Acht Jahre F&E am Max-Volmer-Institut der TU Berlin. Danach zehn Jahre in Institutionen der Fraunhofer-Gesellschaft, dort u. a. von 2001 bis 2004 Programmdirektor der Telematikplattform für medizinische Forschungsverbünde, TMF. Seit 2005 Universitätsdozent für Project Management an der TU-Berlin am Produktionstechnischen Zentrum im internationalen Masterstudiengang Global Production Engineering (GPE). Seit 2007 in der GPM und Mitglied der FG PM an Hochschulen und weitere Aktivitäten.


Prof. Dr. Yvonne Schoper berichtet über aktuelle Forschungsthemen u. a. von (inter-)nationalen Fachtagungen und Kongressen. Ihr Forschungsgebiet ist das Interkulturelle Projektmanagement und die Themen Führung, Teamentwicklung, Selbstmanagement, Kommunikation und Coaching.


Wolfgang Glitscher (1952, Berlin), Studium der Technischen Chemie und Biochemie, Promotion TU Berlin in Biophysikalischer Chemie. Acht Jahre F&E am Max-Volmer-Institut der TU Berlin. Danach zehn Jahre in Institutionen der Fraunhofer-Gesellschaft, dort u. a. von 2001 bis 2004 Programmdirektor der Telematikplattform für medizinische Forschungsverbünde, TMF. Seit 2005 Universitätsdozent für Project Management an der TU-Berlin am Produktionstechnischen Zentrum im internationalen Masterstudiengang Global Production Engineering (GPE). Seit 2007 in der GPM und Mitglied der FG PM an Hochschulen und weitere Aktivitäten.


Kommentare

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25.01.2024 – 19:13

Guido Bacharach

Vollkommen korrekte Analyse und Handlungsableitungen. Bitte aber noch einen Punkt zu bedenken: Die zunehmende globale Komplexität jedes Problems hat auch Auswirkungen auf die Lösungen, die benötigt werden. Lokale Lösungsansätze, die uns in den ersten Komplexitätsstufen der Menschheit geholfen haben, sind nun nicht mehr von Nutzen. Es sind nun Lösungsansätze gefragt, die das gesamte Problemsystem abdecken (sogenannte "globale" Lösungen). Dies wird mit dem Modebegriff "Nachhaltigkeit" nur sehr grob beschrieben.

Ja, und für diesen Lösungsraum benötigen wir zur Umsetzung Projekte und gutes (Multi-) Projektmanagement.