– 06.12.2022

Agile Coach oder Product Owner – wohin mit den Projektmanager*innen im agilen Unternehmen?

Schnellere Time-to-Market, besserer Umgang mit Veränderungen und mehr Spaß im Projekt – agiles Arbeiten verspricht viel. So viel, dass Unternehmen aller Branchen und Größen anfangen, mit der neuen Art der Zusammenarbeit zu experimentieren. Damit ändert sich nicht nur eine einzelne Arbeitsmethodik. Die Rolle des Projektmanagements weicht Agile Coaches und Product Ownern. Da stellt sich die Frage: In welcher Rolle arbeiten Projektmanager*innen in der Zukunft?

Von Bahn bis Volkswagen, von edding bis Essener Wirtschaftsförderung – viele Unternehmen machen sich auf den Weg zur agilen Organisation. Dabei verkünden sie nicht selten große Erfolge. So hat etwa Unilever auf Agilität gesetzt und zu Beginn von Corona nur 6 Wochen benötigt, um eine neue Produktidee in die Supermarktregale zu bekommen. Die erste Charge war in nur einem Tag ausverkauft. Ähnliche Berichte lassen sich von der DB Systel oder dem Hotelbetreiber Upstalsboom lesen. Wie schon in früheren Artikeln beschrieben: Die agile Art des Arbeitens bzw. New Work kommt aus der IT-Nische und gewinnt zunehmend an Popularität.

Agile kennt kein Projektmanagement

In Unternehmen mit hohem agilem Reifegrad denken Teams nicht mehr in Projekten, sondern nur noch in Produkten. Sie organisieren und führen sich selbst, sammeln Wissen, treffen Entscheidungen und fokussieren sich darauf, möglichst viel Wert für ihre Kunden zu erschaffen. Langfristige Planungen mit detaillierten Gantt-Charts stehen dem nur im Weg. Sie gelten als „Verschwendung“, weil Einschätzungen zu Zeitpunkt, Aufwand und Umfang in der Regel mehrfach aufwendig überdacht werden müssen und selbst dann noch nicht passen. Das bindet Ressourcen und schafft wenig Wert für Kunden. Uns selbst das Management kann sich nicht darauf verlassen.

Agile Coaches verantworten die Produktivität 

Es ist klar: Projektmanagement wird sich in seiner heutigen Form weiterentwickeln. Der Arbeitsprozess verändert sich und Teams übernehmen mehr inhaltliche Verantwortung. Für Projektmanager*innen, die sich bevorzugt mit Arbeitsprozessen, einem strukturierten Vorgehen und guter Kommunikation im Team befassen, ist die Rolle des Agile Coaches deutlich näher als die des Product Owners.

Der Agile Coach ist ständiger Begleiter eines Teams, ohne Teil dessen zu sein. Coaches arbeiten nicht inhaltlich mit. Sie gestalten den Prozess, suchen Methoden und moderieren Workshops oder Meetings, damit das Team sich nicht verzettelt. Sie schauen bewusst von außen auf die Gruppendynamik, damit sie Probleme in der Zusammenarbeit erkennen können, die ein Team selbst oftmals nicht hinterfragt. Dann lenken sie die Aufmerksamkeit auf die Ursachen und dienen Lösungswege an. Keine Vorgaben oder Top-Down-Entscheidungen – Agile Coaching funktioniert auf Augenhöhe. So lernt das Team, Verantwortung für sich zu übernehmen.

Anders als für Product Owner gibt es für Agile Coaches ganzheitliche Ausbildungen. Darin werden die verschiedenen Aufgabenfelder der Coaches trainiert, viele Methoden und das nötige Mindset vermittelt. In der Regel erstrecken sich die Kurse über mehrere Monate, in denen jeweils einige zwei- bis dreitägige Module stattfinden. Einige Anbieter ermöglichen eine offizielle Zertifizierung durch die IHK – die für einen Wechsel vom Projektmanagement zu Agile Coach hilfreich sein dürfte.

Product Owner verantworten die Prioritäten

Agilität lebt von Anpassungsfähigkeit. Wie beschrieben weichen aufwendige Planungen einer dynamischen Liste namens Backlog, in der Aufgaben zwar priorisiert werden, aber erst kurz vor ihrer Umsetzung geschätzt. Für diese Priorisierung ist die Rolle des Product Owners (PO) verantwortlich. Sie skizziert das Ziel einer Aufgabe aus Sicht der künftigen Nutzer. Auch Anforderungen, die durch das Ergebnis erfüllt werden müssen, werden in Stichpunkten aufgelistet. Wie die Aufgabe gelöst wird und welcher Aufwand dafür nötig ist, entscheidet auf dieser Basis dann das Team im gemeinsamen Austausch. So wird sichergestellt, dass die angedachte Lösung umsetzbar ist und realistisch eingeschätzt wird.

Die Rolle des Product Owners trägt die Verantwortung dafür, dass das Produkt erfolgreich wird. Dazu gehört auch, dass dessen Entwicklung wirtschaftlich bleibt. Hierzu stehen POs im ständigen Austausch mit den Ansprechpartnern im Unternehmen und dem Team. Sie nehmen Wünsche auf und sorgen für Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Mehrwert.

Die Rolle des Product Owners trägt zwar viele Aspekte von Projektmanagement in sich. Im Kern kommt sie jedoch dem Produktmanagement noch etwas näher. Product Owner wird man, indem man sich mit Service Design und User Experience Design befasst. Durch verschiedene Vorgehensmodelle wie Design Thinking, Lean Startup, Scrum und Kanban lernen POs, sich und ihren Alltag zu organisieren. Auch Präsentations- und Kommunikationstechniken sind wichtige Elemente der Ausbildung. Hierzu gibt es viele einzelne Trainings, an denen man schrittweise und nach Bedarf teilnehmen kann.

Product Owner oder Agile Coach: Eine Frage der Interessen

Spricht man mit Teams, die bereits New Work im Alltag nutzen, hört man oft: „Es war ein steiniger Weg. Aber es hat sich sehr gelohnt.“ Nur selten wechseln Teams ins klassische PM-Vorgehen zurück, nachdem sie mit agilen Vorgehensmodellen eine andere Form der Arbeit kennengelernt haben.

Für Projektmanager*innen stellt sich die Frage: Product Owner, Agile Coach oder Fachrolle im Team. Prozess- und beziehungsaffine PMs werden vermutlich in der Rolle des Agile Coaches glücklicher. Strategisch denkende und inhaltlich beratende PMs dürften sich in der Regel als Product Owner wohler fühlen. Für die kreativen Ideengeber macht der Einstieg ins Team wahrscheinlich am meisten Sinn.

Nils Tißen ist Gründer der Innovationsberatung Me & Company. Die Düsseldorfer unterstützen Unternehmen mit neuen Formen der Zusammenarbeit, Geschäftsmodelle und Produkte kundenzentriert weiterzuentwickeln. Schon zur Gründung hat Me & Company mit Scrum, Kanban und Design Thinking gearbeitet. Seit 2015 nutzt das Unternehmen Holokratie und setzt auf verteilte Formen der Führung. Hierzu entwickelt Nils Tißen neue Methoden und Lösungen für agile Zusammenarbeit. Darüber hinaus ist er als Dozent an verschiedenen Hochschulen aktiv.


Nils Tißen ist Gründer der Innovationsberatung Me & Company. Die Düsseldorfer unterstützen Unternehmen mit neuen Formen der Zusammenarbeit, Geschäftsmodelle und Produkte kundenzentriert weiterzuentwickeln. Schon zur Gründung hat Me & Company mit Scrum, Kanban und Design Thinking gearbeitet. Seit 2015 nutzt das Unternehmen Holokratie und setzt auf verteilte Formen der Führung. Hierzu entwickelt Nils Tißen neue Methoden und Lösungen für agile Zusammenarbeit. Darüber hinaus ist er als Dozent an verschiedenen Hochschulen aktiv.


Kommentare

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25.01.2024 – 19:13

Klaus Wagenhals

hallo Kollege Tißen,

beim Durchlesen Deines Blog-Beitrags fällt mir auf, dass der ScrumMaster fehlt und keine Verbindung zum PMO hergestellt wird. ich würde Dich gerne darauf aufmerksam machen, dass wir von der Fachgruppe "next generation leadership" (früher Führen im Projekt) schon vor einigen Jahren den damals neuen Rollenmix im agilen Umfeld untersucht und einige interessante Schlußfolgerungen gezogen haben: s. pmaktuell Nr.4/2021 S.68ff, s.unsere zahlreichen BarCamps zum Thema und auch einige Blog-Beiträge hier. Falls Dich das interessiert, nimm gerne mit uns Kontakt auf. viele Grüße Klaus Wagenhals