– 19.11.2019

Digital leadership: nur ein weiteres Buzzword oder wirklich neue Wege?

„Digital leadership“ wird leider oft in einem sehr verkürzten Sinne verwendet zur Bezeichnung eines Führungs-Typs, der stark auf die (weitere) Digitalisierung unserer Umwelt in und außerhalb von Unternehmen gerichtet ist und sogar noch zugespitzt wird auf das Führen in die Digitalisierung und das Beherrschen entsprechender Fähigkeiten.

Erstmal klingt es für viele normal, dass man im Digitalisierungs-Zeitalter „digital“ führt; was würde das aber heißen? Ist die „digitale Unterstützung“ so weit vorangeschritten, dass man das ernsthaft als aktuellen Trend verkaufen könnte?

„Leaderhip“ ist ja als Begriff eine konzeptionelle Antwort auf den Management-Begriff für Führung: Schon vor vielen Jahren hatte sich die Einsicht durchgesetzt – nicht zuletzt vor dem Hintergrund vieler Studien zum Scheitern von Projekten –, dass man nur mit „managen“ kaum erfolgreich führen kann – es braucht die Ergänzung durch „leadership“ mit emotionaler Intelligenz und anderen Charakteristika (vgl. Boyatzis,u.a. 2004). Der Mensch braucht eine Vision (jenseits präziser Ziele), er lebt auf, wenn er zu einem guten Team gehört, arbeitet motiviert, wenn seine Kompetenz wertgeschätzt wird und zum Einsatz kommt/ seine Potenziale erkannt werden. Er möchte gut und fair behandelt werden und einen Handlungsspielraum haben, in dem er selbständig arbeiten und gegebenenfalls auch entscheiden kann.

Aufgrund der radikalen Umbrüche in den letzten 10-15 Jahren ist es ja nicht so, dass die augenblicklich laufende „Digitalisierungswelle“ das alleinige Merkmal zur Bestimmung neuer Herausforderungen für Leadership sein kann; vielmehr geht es auch um – ausgehend von Projekten in der IT – Agilisierung, was teilweise massive Umbauten in Unternehmen zur Folge hat und um die Neubestimmung dessen, wo Führung weiterhin gebraucht wird und wie sie wirkungsvoll sein kann.

Zum Beispiel haben sich Projekte auf der Grundlage des „agilen Manifests“ (Schwaber 2004) stark verändert: ScrumMaster (SM) und ProductOwner (PO) wurden neben dem mehr sich selbst organisierenden Team die dominanten Rollen. Der Kunde rückte mit seinen Problem- und Fragestellungen in den zentralen Focus des Projektgeschehens und die Abläufe wurden konsequent danach ausgerichtet; der Produktivitätsgewinn war und ist enorm. Gleichzeitig gerät der Projektleiter(PL)/ Projektmanager (PM) mit seinem bisherigen Rollen-Set durch diese Entwicklung erheblich unter Druck: in vielen Unternehmen gibt es bereits keinen Pl/PM mehr, in anderen wird er zum SM oder zum PO oder er wird ins PMO versetzt (projectmanagement office; vgl. dazu unveröff. Manuskript der GPM Fachgruppe „Führen im Projekt“, 2018). Dies hat natürlich gravierende Folgen für die Art und Weise wie geführt wird/ werden soll – und das trifft sich nun mit der weiteren Digitalisierung: Eine Studie zur Digitalisierung der Projektarbeit zeigt, dass die ersten Ansatzpunkte der Digitalisierung im Projektgeschäft die Kommunikation und die Zusammenarbeit im Projekt sind – noch nicht so sehr die Planung, Problemlösung usw. (s. Scheurer u.a. in: pmaktuell 2/2018, 28).

Projekte sind natürlich auch das Vehikel zur Durch- oder Umsetzung von Digitalisierung im Unternehmen; leider wird dieser Durchdringungsgrad in der Studie nicht näher beleuchtet. In Bezug auf die Veränderung der Anforderungen konstatieren die Autoren, eine „erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit“ (65 Punkte der Nennungen) und „Flexibilität“ (63 Punkte). Auch die Arbeitsgeschwindigkeit hat sich gesteigert (56 Punkte) und die Projektmitarbeiter stehen vor der Herausforderung, sich verstärkt selbst organisieren zu müssen (55 Punkte).

Neben der sich hieraus ableitbaren Anforderung an PM/PL, sich mit den zur Debatte und zur Unterstützung der Arbeit verfügbaren Tools /Instrumenten auseinander zu setzen, auszukennen und diese gemäß den Anforderungen und Möglichkeiten einzusetzen, lässt sich noch nicht allzu viel Neues für das leadership ableiten. Natürlich wird an Führungskräfte mehr und mehr auch die Anforderung gestellt, sich offen für die „Digitalisierung“ zu zeigen, was aber – wie oben erwähnt – im Projektgeschäft eh selbstverständlich ist, wenn die Produkte mehr und mehr durch digitale Bausteine durchdrungen und auf höherer Ebene (z.B. über die Cloud) vernetzt werden.

Software-unterstützte, virtuelle Zusammenarbeit braucht natürlich das Beherrschen und mit dem Team abgestimmte Jonglieren mit den ausgewählten Software-Produkten, Plattformen usw. – sowie das Bewusstsein über zentrale Gruppendynamik-Faktoren und die Grundlagen im Umgang mit fremden Kulturen. Möglicherweise haben PL/PM die Sorge, ein uraltes „Führungs-Problem“ von ihnen – die Einbindung von verschiedenen Disziplinen, Kulturen usw. würden sie wieder bewerkstelligen müssen, ohne disziplinarisch Vorgesetzte zu sein – kocht erneut hoch.  Was mit der nach wie vor häufig anzutreffenden hierarchischen Denke von Führungskräften sowie mit dem klassisch-strukturierten Umfeld von Projekten zu tun hat.

Nach wie vor – und das geht häufig im „Digitalisierungs-Hype“ unter – müssen aber Führungskräfte ganz „analog“ arbeiten, wenn es z.B. darum geht,

  • „auf Sicht zu fahren“, weil sich langwierige Analysen und Planungen verbieten, und sich darüber auszutauschen
  • Viel mehr zu erproben und Fehler zu machen und zu tolerieren
  • Feedback-Schleifen aufzubauen und zu beleben (z.B. im Rahmen von Retrospektiven) und die dort wichtigen Werte zu vermitteln
  • Visionen zu entwickeln, zu transportieren und die Kompetenzen und Potenziale für deren Verfolgung zu aktivieren
  • Rollen zu klären und Entscheidungs-Spielräume zu definieren bei zunehmender Dezentralisierung von Hierarchie und Entgrenzung von Unternehmen (Vernetzung)
  • Mitarbeiter vor Information-overload und „ständiger Erreichbarkeit“ sowie Selbstausbeutung zu schützen
  • die häufig immer mehr werdenden Ansprechpartner sozial kompetent zu „bedienen“ und sie in die Ziele-Verfolgung einzubinden
  • eine andere Haltung bzgl. Führung zu entwickeln: mehr loslassen, Rahmenbedingungen gestalten, den Mitarbeitern was zutrauen und ihnen vertrauen; Chancen sehen und nutzen, Methoden kennen, mit denen Potenziale entdeckbar und nutzbar werden und der „Teamspirit“ gestärkt werden kann und mit deren Hilfe Mut und Selbstbewusstsein entwickelbar sind.
     

Die in verschiedenen Studien und Aufsätzen im Zusammenhang mit der Digitalisierung herausgearbeiteten Anforderungen an Führung (vgl. beispielhaft Petry,(Hrsg),2016) sind im Projektkontext zu einem nicht unerheblichen Teil schon gelebte Realität. Führungskräfte im Projektgeschäft tun sich aber ähnlich schwer, wie andere Führungskräfte auch, die grundsätzlich geforderten Haltungsänderungen zu leben und die Möglichkeiten der Digitalisierung durch gezieltes Einüben verschiedener Rollen für die eigene Weiterentwicklung zu nutzen.

Da PL/PM derzeit ja nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen – ganz im Gegenteil – wäre es für sie hilfreich, die Herausforderungen in ihrem sich wandelnden Alltag anzunehmen und die dargestellten Anforderungen (und ggf. noch ein paar mehr) mit der Entwicklung passender Kompetenzen zu beantworten und die Forderung an ihre Chefs und die Personal-/Organisations-Entwicklung zu stellen, sich an dem geplanten oder schon laufenden Umbau beteiligen zu dürfen und dabei unterstützt zu werden.

Ich lade Sie herzlich zu einer lebendigen Diskussion dieses Themas in meinen WS anlässlich der „Digitalen Welt Rhein-Neckar“ ein.

Quellenangaben:

  • Bojatzis, R., D.Goleman, A.McKee: Primal Leadership, HBS Press, 2004
  • Böhle, F. : Management von Ungewissheit. Neue Ansätze jenseits von Kontrolle und Ohnmacht, transcript, Bielefeld 2012
  • Borgert, S., Raus aus der Komplexitätsfalle in: Projektmagazin Nr.12/2013
  • Fachgruppe „Führen im Projekt“, interne Recherche – noch unveröff., 2018 (Autoren: Wagenhals u.a.)
  • Gigerenzer, G., H.Kober: Bauchentscheidungen: die Intelligenz des Unbewußten und die Macht der Intuition, Goldmann, 2008
  • Gloger, B.,D. Rösner, Selbstorganisation braucht Führung, München (2014)
  • Individual competence baseline für Projektmanagement, Version ICB4.0, GPM, Nürnberg, 2017
  • Petry, Th. (Hrsg): digital leadership, Haufe-Gruppe, 2016
  • Scheurer, S. Ch.Schneider, A.Wald,: Digitale Transformation der Arbeitswelt in: pmaktuell Nr.2/2018,25ff
  • Schwaber, Ken: Agile Project Management with Scrum. Microsoft Press, 2004, mit-Unterzeichner des agilen Manifests 2001,
  • Wagenhals, K., Führen in Projekten – überwinden von Dilemmata; in: Basiswissen PM – Führung im Projekt, Hrsg v. R.Wagner und N.Grau, Düsseldorf, 2014

Dr. Klaus Wagenhals ist seit 1998 selbständiger Begleiter von Change-Prozessen, Führungs- und Projekt-Optimierer in den Branchen IT, Automotive, LifeSciences, High-Tech, u.a. Seit 2007 ist er Netzmanager von metisleadership. Davor war er neun Jahre Geschäftsführer in einer mittelständischen Beratungsagentur; als gelernter Organisations-Psychologe und Industrie-Soziologe, arbeitete er seit Ende der 70er Jahre in verschiedenen Projekten in unterschiedlichen Rollen. Er mischt sich als Autor und Speaker in die Debatte um neue Ansätze für leadership und Projektmanagement ein und engagiert sich auch ehrenamtlich in diesem Bereich (z.B. seit 2013 als Mitglied der Regionalleitung der GPM Region Karlsruhe).


Dr. Klaus Wagenhals ist seit 1998 selbständiger Begleiter von Change-Prozessen, Führungs- und Projekt-Optimierer in den Branchen IT, Automotive, LifeSciences, High-Tech, u.a. Seit 2007 ist er Netzmanager von metisleadership. Davor war er neun Jahre Geschäftsführer in einer mittelständischen Beratungsagentur; als gelernter Organisations-Psychologe und Industrie-Soziologe, arbeitete er seit Ende der 70er Jahre in verschiedenen Projekten in unterschiedlichen Rollen. Er mischt sich als Autor und Speaker in die Debatte um neue Ansätze für leadership und Projektmanagement ein und engagiert sich auch ehrenamtlich in diesem Bereich (z.B. seit 2013 als Mitglied der Regionalleitung der GPM Region Karlsruhe).


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