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– 22.04.2025Projekt-Leadership zwischen Regeln und Wandel
Projektmanagement steht an einem Wendepunkt. Die klare Trennung zwischen klassisch und agil löst sich zunehmend auf – stattdessen werden hybride Ansätze zur neuen Realität. Doch wer glaubt, daraus ließe sich einfach ein „Best of Project Management“ zusammenstellen, unterschätzt die Tiefe der dahinterliegenden Denkweisen. Was heute zählt, ist ein neues Führungsverständnis: Projekt-Leadership, das sich zwischen festen Regeln und bewusstem Wandel bewegt.
Warum der Wunsch nach dem „Best of“ verständlich, aber trügerisch ist
Viele Projektverantwortliche fragen sich: „Warum kombinieren wir nicht einfach das Beste aus allen Methoden?“ Gemeint ist damit oft eine Mischung aus klassischen Modellen wie dem Wasserfallmodell und agilen Frameworks wie Scrum oder Kanban. Auf den ersten Blick scheint das sinnvoll: Die Planungssicherheit und klare Struktur klassischer Ansätze ließen sich doch gut mit der Flexibilität und Schnelligkeit agiler Methoden verbinden.
Doch so einfach ist es nicht. Klassisches Projektmanagement folgt einem linearen Ablauf mit fest definierten Phasen, Meilensteinen und klarer Aufgabenverteilung. Agile Methoden hingegen arbeiten iterativ, mit kurzen Zyklen, enger Zusammenarbeit und viel Eigenverantwortung im Team. Diese Unterschiede betreffen nicht nur Prozesse, sondern auch Haltungen, Werte und Führungsverständnis.
Wer Methoden kombinieren will, muss auch bereit sein, unterschiedliche Denk- und Arbeitsweisen zu integrieren. Genau hier setzt Projekt-Leadership an: als Fähigkeit, nicht einfach mechanisch Methoden zu mischen, sondern sie kontextsensibel, kulturell stimmig und teamgerecht einzusetzen.
Projekt-Leadership braucht Kontextsensibilität
Ein zentraler Aspekt moderner Projekt-Leadership ist die Frage: Was braucht mein Projekt in genau dieser Situation? Nicht jedes Projekt profitiert von Agilität – und nicht jedes Vorhaben lässt sich sinnvoll durchstrukturieren. Projektleitende, die situativ führen können, werden zunehmend zur Schlüsselressource in Organisationen.
Zur Orientierung kann der sogenannte Diamond Approach herangezogen werden – ein Modell zur Klassifikation von Projekten. Es betrachtet vier zentrale Dimensionen:
- Wie klar ist das Projektziel?
- Wie eindeutig ist der Weg dorthin?
- Wie dynamisch ist das Umfeld?
- Wie vertraut oder neu ist die eingesetzte Technologie?
Je nachdem, wie diese Faktoren ausgeprägt sind, lässt sich ein Projekt als eher stabil oder eher dynamisch einordnen. Daraus ergeben sich konkrete Hinweise darauf, welche Führungsstile, Methoden und Kommunikationsformen passen. Projekt-Leadership bedeutet in diesem Kontext, genau diese Einschätzung vorzunehmen – und das Projekt entsprechend auszurichten.
Ambidextrie als Führungsprinzip in Projekten
Immer häufiger taucht in aktuellen Studien der Begriff Ambidextrie auf – die Fähigkeit, widersprüchliche Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen. Im Projektkontext bedeutet das: Einerseits klare Strukturen zu schaffen, andererseits Freiräume zu ermöglichen. Das setzt voraus, dass Projektleitende sowohl Regelbewahrer („Rule Maker“) als auch Innovationsförderer („Rule Breaker“) sein können – je nachdem, was die Situation erfordert.
Diese ambidextrische Denkweise ist kein kurzfristiger Trend, sondern eine notwendige Antwort auf die steigende Komplexität vieler Projekte. Technologischer Fortschritt, globale Zusammenarbeit und veränderte Erwartungen an Führung machen deutlich: Projekt-Leadership muss heute beides können – steuern und loslassen.
Neue Anforderungen an Projektleitende
Mit der zunehmenden Digitalisierung verändern sich nicht nur die Werkzeuge, sondern auch die Anforderungen an Führung in Projekten. Künstliche Intelligenz, Remote Work, interdisziplinäre Teams – all das fordert ein neues Rollenverständnis.
Projektleitende werden immer mehr zu Moderatoren, Coaches und Impulsgebern. Sie schaffen Rahmenbedingungen, in denen Teams eigenverantwortlich arbeiten können, ohne die übergeordneten Ziele aus dem Blick zu verlieren. Das setzt kommunikative Stärke, Empathie, Veränderungskompetenz und ein tiefes Verständnis für Teamprozesse voraus.
Projekt-Leadership ist damit keine einzelne Fähigkeit, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Haltung, Wissen und situativem Handeln.
Kein „Best of“, sondern „Passend zu“
Der Blick in die Praxis zeigt: Erfolgreiches Projektmanagement entsteht nicht durch die perfekte Methode, sondern durch passgenaue Entscheidungen. Wer sich zu sehr an einem starren Methodenmix orientiert, läuft Gefahr, den eigentlichen Bedarf des Projekts aus dem Blick zu verlieren.
Projekt-Leadership setzt genau hier an – bei der Fähigkeit, zwischen Regeln und Wandel zu navigieren. Zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und der Notwendigkeit zur Veränderung.
Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel "Die Zukunft des Projektmanagements: Projekt-Leadership zwischen Rule Makers und Rule Breakers" von Christoph Richter, erschienen in der PM AKTUELL, Ausgabe 02/2023. Mehr über das Fachmagazin der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. erfahren Sie hier.
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